Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
heißen kann.
»Mit 'nem Taxi heimgefahren?«
Einen Augenblick hält sie, mit dem Rücken zu ihm, inne. »Nein. Gelaufen.« Ihr dumpfer Tonfall sagt ihm, daß sich ein Geständnis anbahnt. Er wünschte, er hätte sie nicht gefragt.
»Kein Taxi?« fragt er und öffnet ihr den Weg zu einer bequemen Ausflucht.
Sie setzt sich auf das Sofa und schaut ihm zum erstenmal gerade in die Augen. Vielleicht möchte sie es auch nur schnell hinter sich haben. »Kein Geld«, sagt sie. »Tut mir leid, aber ich hab' alles ausgegeben, was Sie mir gegeben haben. Hab' mir noch andere Sachen gekauft, außer dem Mantel und dem Kleid.«
Das also war das Geständnis? Er lächelt heimlich über sich. Er weiß, er hat sich wie ein Kind benommen. »Macht nichts«, sagt er.
Sie wendet den Kopf leicht zur Seite und blickt ihn unsicher aus den Augenwinkeln an. »Wirklich?«
Er lacht. »Wirklich.«
»He! Schauen Sie mal, was ich hier habe!« Und schon ist sie aufgesprungen und reißt ein paar Tüten auf. »Ich hab' mich auch nach Sonderangeboten umgesehen. Ich war sparsam! Hier – was sagen Sie dazu?« Sie macht ihren Mantel auf und zeigt ihm dicksohlige Stiefel, die bis zum Knie gehen. Sie sind aus rotem Knautschlack und beißen sich mit dem flammenden Orange des Mantels. Sie schlitzt eine Tüte auf und holt ein langes Kleid heraus, das aussieht, als wäre es aus lauter Flicken zusammengenäht. Sie hält es sich an die Schultern und tritt nach dem Saum. »Was halten Sie davon?«
»Hübsch. Es sieht … warm aus.«
»Warm? Oh ja, ich glaub' schon. Das Mädchen hat gesagt, das ist jetzt in. Ach, und einen Rock hab' ich …!« Sie macht noch mal ihren Mantel auf und zeigt ihm den Mini, den sie trägt. »Und dann noch diese Bluse. Da war noch eine, die mir auch sehr gut gefallen hat. Wissen sie, mit solchen Rüschenkrägelchen, die man in den alten Filmen im Fernsehen immer sieht. Sie wissen, was ich meine?«
»Ja«, lügt er.
»Aber sie hatten nicht meine Größe. Und da hab' ich … mal sehen … oh, einen Pullover! Und … ich glaube, das wär's. Nein! Ich hab' doch noch Höschen und so Sachen … da muß doch noch was sein. Ach ja, der Mantel. Der hat das meiste gekostet. Ich glaube, das ist jetzt alles.« Sie läßt sich aufs Sofa fallen, mitten zwischen die Sachen und die Tüten, die Hände zwischen den Knien. Ihre Begeisterung ist verflogen. »Gefällt Ihnen nicht, wie?« sagt sie.
»Was? Nein, bestimmt – ich meine – sehr hübsch.«
»Ist aber alles bei drauf gegangen …«
»Keine Sorge.«
»Wissen Sie, wir müssen heute abend ja nicht unbedingt ausgehen, wie Sie gesagt haben. Wir können ja auch zu Hause bleiben. Dann sparen wir Geld.«
Die Art, wie der Besitzer des griechischen Restaurants ihnen bei der Suche nach einem Einzeltisch hilft, wie er des Mädchens Glas immer wieder mit Wein füllt, wie er den Lieutenant angrinst und ihm, halb hinter ihm stehend, zunickt, hat etwas von der Schleimigkeit eines Zuhälters. LaPointe haßt so was, doch Marie-Louise scheint die ihr zuteil werdende Aufmerksamkeit zu genießen, also ist er zufrieden. Die griechische Küche ist ihr fremd, aber sie ißt mit Appetit und faltet die Weinblätter auseinander, um an den Reis und das Lammfleisch ranzukommen. Die Blätter selbst ißt sie nicht, weil sie sie für Verpackungsmaterial hält.
Eine Kerze in einem roten Glas beleuchtet ihr Gesicht von unten her, was für eine ältere Frau sehr unvorteilhaft wäre. Bei ihr aber unterstreicht es nur die Begeisterung, mit der sie immer wieder von ihrem Einkaufsbummel erzählt oder Bemerkungen über die anderen Gäste des Restaurants macht. Er hat sich bewußt so gesetzt, daß er den Raum im Rücken hat, um ihr das Vergnügen zu gönnen, zu sehen und gesehen zu werden. Das ist wohlüberlegt und ungewöhnlich bei einem Mann, der normalerweise mit dem Rücken zur Wand sitzt, um den offenen Raum vor sich zu haben. Eigentlich schmeckt ihr der griechische Wein gar nicht, und doch trinkt sie zuviel. Als sie mit dem Essen fertig sind, lacht sie ein bißchen zu laut.
Er freut sich über ihr unkontrolliertes Mienenspiel. Sie hat sich noch keine Maske zugelegt. Sie kann perfekt lügen, aber sie kann sich noch nicht verstellen. Sie ist fähig, Menschen zu beschwatzen, aber sie ist unfähig zur Perfidie. Sie ist vulgär, aber noch nicht verhärtet. Sie ist noch jung und verletzlich. Er andererseits ist alt und … hart.
Während sie ihren Kaffee austrinken – den türkischen Kaffee mit dem dicken
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