Ein Herzschlag danach
allmählich durchdrehte, oder fragte er sich, warum ich ausgerechnet diese alte Erinnerung hervorgekramt hatte? Aber dann fuhr er fort: »Ich hab Lila damals meine Jacke geliehen, weißt du noch? Und du warst sauer auf mich, weil du glaubtest, ich würde mich unterkühlen und du müsstest dann uns beide auf dem Schlitten nach Hause ziehen.«
»Klingt nach mir«, grinste Jack.
Hilflos beobachtete ich, wie Alex seine Jacke nahm, die er über das Treppengeländer gehängt hatte.
Nein, geh nicht, bitte geh nicht! , wollte ich schreien.
»Wir sehen uns morgen«, sagte er. »Ich habe Lila eingeladen, morgen mit mir im Camp joggen zu gehen, hoffe, du bist einverstanden.«
»Gute Idee«, sagte Jack.
Im engen Flur mussten wir dicht beieinanderstehen. Alex nahm mich plötzlich in die Arme und zog mich an sich. Er hauchte einen Kuss auf mein Haar.
»Gute Nacht, Lila.«
Dann war er verschwunden und Jack stellte die Alarmanlage an. Anschließend prüfte er, ob die Hintertür verschlossen war.
Ich hatte jede Menge Fragen, die mir über die Lippen zu sprudeln drohten. Ich konnte nicht glauben, was mir mein Bruder alles verheimlicht hatte. Entschlossen wandte ich mich ab und ging die Treppe hinauf.
»Gute Nacht!«, rief mir Jack nach.
»Gute Nacht!«, gab ich zurück.
8
Ich warf die Schlafzimmertür zu und ließ mich auf das Bett fallen, wo ich mich zusammenrollte wie ein Embryo. Ich hätte Alex nicht fragen sollen, wer die Mörder meiner Mutter waren. Namen spielten keine Rolle. Warum sie es getan hatten, das war die einzige Frage, die für mich jemals wichtig gewesen war. Welchen Grund konnte jemand gehabt haben, eine Frau am helllichten Tag in ihrem Haus kaltblütig zu ermorden?
Mein Bruder und Alex mussten es wissen. Wie hatten sie es bloß geschafft, die Täter aufzuspüren? Welche Informationen hatten sie sich über ihre Arbeit beschafft? Ich verstand einfach nicht. Wie konnten sie fünf Jahre nach der Tat Informationen haben, die damals nicht einmal die Mordkommission hatte finden können? Was tat diese Spezialeinheit eigentlich, in der sie arbeiteten?
Ich setzte mich aufrecht hin. Es war gefährlich. Wirklich und richtig gefährlich. Wir hatten es hier nicht mit irgendwelchen halbwüchsigen Straßendieben zu tun. Es handelte sich um Mörder. Ich durfte nicht zulassen, dass Jack und Alex weitermachten. Ich musste ihnen die Sache ausreden.
»Lila, wieso brauchst du denn so lange?«
»Bin ja schon da.«
Ich sprang die Treppe hinunter. Jack wartete mit ungeduldiger Miene im Flur. Ich war spät dran, weil ich erst bei Morgendämmerung eingeschlafen war. Jetzt war es zehn Uhr, und obwohl ich ungefähr vier Stunden geschlafen hatte, war ich wie gerädert.
»Gehen wir«, sagte ich und lächelte ihm besänftigend zu.
Erst jetzt bemerkte ich, dass Jacks Auto ein Audi war, eine schnittige, schwarz glänzende Kraftmaschine. Ich fragte mich, wie viel er dafür wohl bezahlt hatte. Sanft strich ich über den schwarzen Lack. Eigentlich machte ich mir nicht viel aus Autos, aber mit diesem hier konnte ich mich durchaus anfreunden.
»Nettes Auto«, sagte ich und setzte mich auf den Beifahrersitz. Wir waren auf dem Weg zum Camp. Jack, um zu arbeiten, und ich, um mit Alex joggen zu gehen. Ich wollte die Zeit nutzen und ihn davon überzeugen, dass es zu gefährlich war, nach Mums Mördern zu fahnden. Notfalls würde ich ihn bitten und anflehen; jedenfalls musste ich überzeugender wirken als gestern Abend. Und ich war fest entschlossen, mich weder von seinen Blicken noch von seinen Händen oder seiner Stimme davon abbringen zu lassen. Wir würden sowieso laufen und ich würde mich voll und ganz auf den Weg konzentrieren.
»Dienstfahrzeug«, sagte Jack knapp, als er den Motor anließ.
Meine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Das Auto. Es ging um sein Auto.
»Die Army stellt ihren Soldaten also Siebzigtausend-Dollar-Schlitten zur Verfügung?«, fragte ich ungläubig.
»Einhundertzwanzigtausend mit allen Extras und ja, solche Autos stehen uns bei der Special Op zur Verfügung. Die Steuerzahler hätten bestimmt nichts dagegen, wenn sie wüssten, wie dringend wir sie brauchen.«
»Was für Extras?«, wollte ich wissen. Ich hatte keine Spoiler gesehen. Und keine Racing Stripes. Nicht mal ein Blaulicht auf dem Dach.
»Der Wagen läuft ein wenig schneller, als der Tacho anzeigt, und hat ein paar versteckt eingebaute, nützliche Sonderausstattungen.«
Ich nahm an, dass er keine Sitzheizung meinte. Sobald ich die
Weitere Kostenlose Bücher