Ein Herzschlag danach
denkbare Welt.
22
Wir standen vor der Talstation der Luftseilbahn bei Palm Springs. Wie der Esstisch eines Riesen ragte der Berg vor uns aus der Wüste auf. Dagegen wirkte die Seilbahn winzig wie Kinderspielzeug.
Ich sah Alex fragend an. »Mit diesem Ding wollen wir da rauf?«
»Ja.«
»Cool.« Und nach ein paar Sekunden fügte ich hinzu: »Werden viele Leute dort oben sein?«
»Nein, deshalb gehen wir ja dahin.«
»Wäre es nicht besser, wenn möglichst viele Menschen in der Nähe wären?«
»Du möchtest also deine … Fähigkeit vor großem Publikum vorführen?«
»Was meinst du damit?«
»Lila, du musst es Jack beweisen. Er wird es uns sonst niemals glauben.«
»Kommt nicht infrage.«
»Du hast keine Wahl. Willst du aus diesem Land verschwinden? Vor Demos in Sicherheit sein?«
Ich seufzte. »Ja.«
»Gut. Gehen wir.«
Alex schubste mich in Richtung Ticketschalter. Während wir warteten, fragte ich mich, wie das alles wohl enden würde. Auf dem Weg nach Palm Springs hatten wir nur kurz an einer Raststätte gehalten, um zu frühstücken. Dort hatte Alex von einer Telefonzelle aus Jack angerufen und mit ihm diesen Treffpunkt vereinbart. Oben an der Bergstation der Seilbahn im San Jacinto State Park, um genau zu sein.
Als wir die Tickets hatten, ging Alex zum Auto zurück.
Ich folgte ihm verwundert. »Fahren wir nicht hinauf? Hast du deine Meinung geändert?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Wir warten«, gab er über die Schulter zurück.
Ich warf einen Blick zur Seilbahnstation. »Worauf denn? Es gibt keine Warteschlange.«
»Auf Jack. Ich will sichergehen, dass er allein ist. Wir lassen ihn zuerst hinauffahren und folgen ihm dann.«
Wir stiegen in das Auto. Ich hatte Angst. Unwillkürlich klopfte ich mit dem Fuß auf den Boden und meine Finger spielten unhörbare Melodien auf dem Fensterrahmen. Alex’ Miene war schwer zu deuten. Ich versuchte zu lächeln.
»Es wird alles gut gehen«, meinte er beruhigend.
Ich nickte, aber meine Finger trommelten weiter.
Gegen Mittag sahen wir in der Ferne etwas Rotes aufleuchten. Es kam mir bekannt vor. Gespannt beobachteten wir, wie der rote Fleck näher kam. Alex’ Motorrad. Ich konnte nur hoffen, dass Jack Alex den Schlüssel zurückgeben würde, bevor er erfuhr, was mit seinem Audi geschehen war. Ich ließ mich tiefer in den Sitz gleiten und ging hinter dem Armaturenbrett in Deckung.
Wir warteten. Jack parkte das Motorrad, nahm den Helm ab und blickte sich auf dem Parkplatz um – zweifellos suchte er nach dem Audi. Schließlich gab er auf und ging zum Ticketschalter hinüber. Wir beobachteten ihn, bis er in der Station verschwunden war.
»Gut, er ist allein«, sagte ich. »Gehen wir?«
»Nein. Erst in ein paar Minuten.«
Eine Viertelstunde später stiegen wir aus dem Auto. Jack schwebte bereits zweihundert Meter über uns in einer Gondel und ich fragte mich, ob er uns von dort oben erkennen konnte.
Als wir dann selbst zweihundert Meter hoch in der leichten Brise schwankten, war ich kurz vor einer Panikattacke. Mit jedem Meter, den wir meinem Bruder näher kamen, wuchs meine Angst.
»Lila.«
Ich blickte auf. Alex machte einen Schritt auf mich zu und berührte mich am Arm. Ich wusste zuerst nicht, was er mir da über die Hand schob. Dann sah ich, dass es das schmale Lederband war, das ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte.
Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Ein paar Sekunden lang war mein Verstand wie leer gefegt vor Staunen, dass ein so wunderbarer Mann mich mögen konnte. Er hatte inzwischen das Band verknotet und ich ließ den Blick von seinen Augen zu seinen Lippen gleiten und wieder zurück.
»Warum gibst du es mir zurück?«, fragte ich.
Er legte den Daumen auf meine Unterlippe und ich hörte, wie jemand aufseufzte. Das bin ja ich, dachte ich, bevor mir schwindelig wurde. Dann beugte er sich vor und küsste mich. Nur ganz leicht und nur ein paar Sekunden lang, und schon zog er sich wieder zurück. Meine Unterlippe pochte ein wenig, dort, wo sein Daumen und seine Lippen gelegen hatten. Ich schaute herab auf die Felsen, die dreihundert Meter unter uns lagen, und ich taumelte. Alex fing mich auf, legte den Arm fest um meine Hüfte, und ich lehnte mich gegen ihn und barg den Kopf an seiner Brust.
Was ist los?, dachte ich. Vor nicht mal zwei Stunden hatte er mir noch erklärt, dass das alles nicht richtig sei und er die Situation nicht ausnutzen wolle – und nun hatte er plötzlich keinerlei Probleme mehr damit, sie
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