Ein Highlander zu Weihnachten
Augen für den Pier und die schmucke schwarz-weiße Friendship.
»Cam! Bitte, nicht so schnell. Sie fährt schon nicht weg.«
Nun, auf dem Pier fehlten das übliche Geschrei und die Frachtgüter. Er verlangsamte seinen Schritt. »Wieso nicht?«
Sie ächzte. »Weil die Friendship ein Schulschiff der US-Küstenwache und eine Art Freilichtmuseum ist.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Ich meine, sie liegt mehr Zeit vor Anker – entweder hier oder in Boston – als sonst irgendwas.«
»Ist sie denn nicht seetüchtig?« Sie sah auf alle Fälle aus, als ob sie es wäre. Eigentlich wie gerade eben vom Stapel gelaufen.
»Oh, seetüchtig ist sie ganz bestimmt, obwohl vor einiger Zeit der Blitz einmal in sie eingeschlagen hat. Dadurch wurde einer der Masten gespalten und das Deck etwas beschädigt, aber es ist alles repariert worden.«
Gelegentlich traf es ein Schiff. Sein Clan gehörte zu den Seefahrern, und er selbst hatte den größten Teil seiner Jugend auf einer der beiden Fregatten zugebracht, die seiner Familie gehörten. Die damit verbundenen Gefahren waren ihm vertraut.
Er wurde langsamer, als sie an das Ende des Piers kamen. »Kennst du den Kapitän?«
»Nein, Cam. Den kenne ich nicht. Ich wollte nur zum Bau beitragen.« Sie rang noch einmal nach Atem. Dann fragte sie: »Willst du an Bord gehen? Das kostet nur ein paar Dollar.«
»Sie wollen Geld, wenn man sie nur ansehen möchte?« – »Ja. Dafür spaziert man durch die Geschichte.«
Zum Teufel mit der Geschichte. Das war ein lebendiges, atmendes Schiff, das an seinen Leinen zerrte. Er blickte auf die Schlange der wartenden Besucher, dann auf das Schiff. An Deck schien alles in bester Ordnung zu sein. Die gerefften Segel waren neu, die Farbe frisch, die Blöcke solide und die Takelung gut geölt. Eine Besichtigung unter Deck hatte Zeit. Mit einigem Glück würde die Hexe wissen, wie sich der Fluch aufheben ließ, und er würde die Friendship nicht brauchen. Aber sollte er sie doch benötigen, würde er jetzt wenigstens wissen, wo er sie finden konnte. Genug Leute für eine Mannschaft zusammenzubekommen wäre dann wieder eine ganz andere Geschichte …
»Claire, wir müssen diese Hexe finden.«
* * *
Gallows Hill, auf dem man 1692 die der Hexerei Angeklagten gehenkt hatte, war ein mit rauem Gras und spärlichen Bäumen bestandener Felsbuckel. Jetzt lag er kalt und öde da. In den kahlen Bäumen raunte der Wind, als sie den Hügel erklommen.
»Bist du sicher, dass es hier ist, Claire? Ich sehe nirgends einen Galgen.«
Claire lachte, während sie keuchend neben ihm stand. »Der ist lange weg, MacLeod.«
»Und das Land liegt brach.« Das übrige Salem, das jetzt erleuchtet und glitzernd wie ein Feenreich zu ihren Füßen lag, war eng bebaut mit Häusern, die kaum genug Raum zum Luft-holen zu haben schienen.
»Das hier ist eine historisch bedeutsame Stätte. Ich vermute, dass es hier Beschränkungen für die Landnutzung gibt.«
Etwas bewegte sich rechts von ihnen auf dem Hügelkamm. »Sieh mal da drüben. Das muss sie sein.«
Als sie näherkamen, erwies sich die Gestalt als eine Frau in einem langen schwarzen Umhang. Claire hoffte inständig, dies möge die Frau sein, nach der sie suchten.
Sie winkte. »Hallo? Mrs Power?«
Die Frau hielt ihre Hände unter ihrem Umhang verborgen. Sie wartete, bis sie sich ihr bis auf wenige Schritte genähert hatten, ehe sie antwortete. »Ja?«
Cam war sich nicht sicher, wen oder was er erwartet hatte. Sicherlich aber keine schöne, ansehnliche Frau in mittleren Jahren, groß gewachsen und mit blitzenden Augen, in deren Iris ein Bernsteingelb ins Grüne und schließlich ins Blaue spielte. Er machte eine tiefe Verbeugung. »Gnädige Frau, es ist mir eine Ehre. Dies ist Claire MacGregor aus Boston und ich bin Sir Cameron MacLeod von Rubha in Schottland. Wir suchen Sie in einer dringenden Angelegenheit auf, in der wir Ihrer Hilfe bedürfen.«
»Woher wussten Sie, dass Sie mich hier antreffen?«
Claire machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Stadt. »Von Julia Browne.«
Die Frau lächelte zum ersten Mal. »Julia hat sie zu mir geschickt?«
Cam grinste. »Naja, ›geschickt‹ ist nicht ganz das richtige Wort. Wir haben ihr gesagt, dass wir Sie suchen, und sie hat uns gesagt, wo wir Sie möglicherweise finden könnten.«
»Ich verstehe.« Sie musterte sie noch einen Augenblick lang, vom Licht der untergehenden Sonne angestrahlt, die die Farbe ihrer Augen von Blau nach Grün wechseln ließ.
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