Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
er werde es mir zurückerstatten«, schwindelte Flo.
Benommen von all dem, was auf sie einstürmte, ließ Estella sich auf einen der Stühle am Küchentisch sinken.
»Und? Was meinst du?«, fragte ihre Tante. »Klingt doch ideal, nicht wahr?« Florence hatte immer gehofft, Estella werde ihren richtigen Vater eines Tages kennen lernen. Dazu war es nun zu spät, doch wenn Estella in dem Haus wohnte, dasRoss so sehr geliebt hatte, und mit den Menschen arbeitete, die ihm so viel bedeutet hatten, würde sie zumindest erfahren, wie ihr Vater gewesen war. Flo hoffte nur, dass Caroline ihr verzieh.
»Das hört sich wirklich sehr verlockend an, Tante Flo, aber ich habe meinen Beruf seit meiner Prüfung nicht einen Tag ausgeübt. Ich müsste sehr viel lesen, um mein Wissen aufzufrischen.«
»Du warst eine hervorragende Studentin, Estella, und hast dein Examen mit Auszeichnung bestanden, wenn ich mich recht entsinne. Ich bin sicher, das alles wird dir keine Mühe machen!«
»Vielleicht hast du Recht. Und wenn Kangaroo Crossing keine so große Stadt ist, würde ich wahrscheinlich nicht von Anfang an hart gefordert.« Estella stellte sich vor, dass die Kinder des Ortes ihre Kuscheltiere zu ihr bringen würden, und dass man sie ab und zu vielleicht zu einem kranken Pferd oder Rind rief.
»Ja, so wird es sein.« Auch Flo hatte keine Vorstellung, wie Ross’ Arbeit ausgesehen hatte, denn er hatte selten darüber berichtet. In seinen wenigen Briefen hatte er eher von der Stadt, von ihren Menschen und von den Tieren im Busch erzählt und immer wieder geschrieben, wie sehr er die weite Landschaft Australiens liebte.
»Und wenn mein Baby kommt, hätte ich wahrscheinlich alles schon ganz gut im Griff und könnte das Kind später während der Arbeit bei mir behalten, weil die Praxis ja im Haus ist.« Estella blickte in die strahlenden Augen ihrer Tante. »Das alles hört sich beinahe perfekt an. Also gut, ich werde es versuchen!«
3
M ichael Murphy blinzelte ins gleißend helle Sonnenlicht. Er stand neben seinem Flugzeug auf dem Rollfeld des Flughafens Parafield in Südaustralien und beobachtete, wie in ungefähr fünfzig Metern Entfernung Passagiere aus einer anderen Maschine ausstiegen. Es war Hochsommer, und die Temperaturen lagen schon seit mehr als einer Woche bei über vierzig Grad Celsius. Trotz der frühen Morgenstunde flimmerte die Luft über dem Asphalt bereits vor Hitze, und der Wind, der am Nachmittag die Gegend in einen Glutofen verwandeln würde, wehte in Böen über die trockenen Felder ringsum und wirbelte Staubfontänen auf.
Michael war von dem abgelegenen Ort Kangaroo Crossing, etwa sieben Meilen jenseits der Grenze zu Queensland, nach Parafield geflogen, um die neue Tierärztin abzuholen. Charlie Cooper war ungewöhnlich wortkarg gewesen, was Ross’ Nachfolgerin betraf, sodass Michael nicht genau wusste, was er zu erwarten hatte. Er kannte bloß den Namen und hatte eine ungefähre Beschreibung: eine Frau Mitte zwanzig mit dunklen Haaren. Er wusste außerdem, dass sie den langen Weg von London nach Australien gekommen war, und dass sie ihren Abschluss genau wie Ross Cooper an der Universität von Edinburgh erworben hatte. Aber darüber hinaus lag alles, was diese Frau betraf, im Dunkeln.
Der Flug von Kangaroo Crossing hatte bei Gegenwind und mit einer Zwischenlandung zum Tanken etwas mehr als acht Stunden gedauert. Michael war in der Abenddämmerung desvergangenen Tages in Parafield eingetroffen, hatte ein paar Sandwiches gegessen, die er mitgenommen hatte, und hatte sich dann in seinem Flugzeug zum Schlafen ausgestreckt. Bei Tagesanbruch war er aufgestanden, hatte getankt und die Maschine startklar gemacht. Jetzt musste er nur noch seine Passagierin aufnehmen, doch ihr Flugzeug hatte mehr als eine Stunde Verspätung.
Als die meisten Insassen der gerade gelandeten Maschine über das Rollfeld zum Empfangsraum gegangen waren und keiner unter ihnen der Frau glich, auf die er wartete, stieß Michael einen leisen Fluch aus. Gerade wollte er zum Ticketschalter gehen, um die Passagierliste mit den Daten auf dem zerknitterten Zettel zu vergleichen, den Charlie ihm gegeben hatte, als eine Stewardess mit einer jungen Frau erschien, auf die Charlies vage Beschreibung von Estella Lawford am ehesten zu passen schien.
Michael fand, dass die Frau krank aussah. Sie stützte sich schwer auf das Geländer, als sie die Treppe hinunterstieg, und die Stewardess wirkte besorgt. Michael beobachtete sie, während er zu der großen
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