Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
›Mister‹ auf. Hier in Australien gehen wir nicht so förmlich miteinander um. Ich heiße einfach ›Murphy‹, es sei denn, Ihnen fällt was Lustigeres ein. Mit Rückenwind brauchen wir acht Stunden bis Kangaroo Crossing. Wir werden nur einmal zwischenlanden, um an der Versorgungsstation Mungerannie zu tanken. Wenn Sie vorher noch einmal verschwinden müssen ... Sie wissen schon ... schlage ich vor, dass Sie es jetzt tun. Aber beeilen Sie sich.«
Dankbar für die Gelegenheit, Michael Murphy für ein paar Minuten zu entkommen, ging Estella in Richtung des Hauptgebäudes davon.
Michael sah ihr nach, ohne einen Blick für ihre wohl geformten Beine und ihre schlanke, weibliche Figur zu haben. Er schüttelte den Kopf. »Was hat Charlie sich nur dabei gedacht, eine Londoner Modepuppe als Nachfolger für einen Mann wie Ross Cooper einzustellen?«, murmelte er vor sich hin und wandte sich wieder seiner Maschine zu.
Erleichtert stellte Estella fest, dass ihr in der kleinen Cessna nicht übel wurde. Trotz Michaels Gesellschaft begann sie den Flug sogar zu genießen, obwohl die Landschaft unter ihnen öde und braun war und die Sonne heiß in die Fenster schien. Zuerst war sie sehr nervös gewesen, doch nach ungefähr einer Stunde entspannte sie sich, während die Maschine am weiten, tiefblauen Himmel ihre Bahn zog.
»Südaustralien ist der trockenste Teil des Kontinents«, sagte Michael, als Estella das fehlende Grün ansprach. »England würde größenmäßig viele Male hier hineinpassen.«
»Wirklich?« Estella konnte kaum fassen, wie gewaltig dieses einsame Land war.
Nach einigen Stunden sah man am Boden statt der flachen Ebene die Flinders Ranges, eine Hügelkette. Michael zeigte Estella die Blinmann-Kupfermine und den Wilpena Pound, eine riesige kraterähnliche Vertiefung in der Landschaft. »Der Krater hat eine Fläche von fast neuntausend Hektar«, erklärte er. »Früher hat man Pferde darin gezüchtet.«
Estella musste zugeben, dass der Anblick von oben beeindruckend war.
»Einige Hügel in den Flinders Ranges sind mehr als dreihundert Meter hoch«, fügte Michael hinzu. »Sie sind nach einem Landsmann von Ihnen benannt, Matthew Flinders. Er war ein englischer Entdeckungsreisender und hat diese Hügel im Jahre 1802 entdeckt.«
Als sie um die Gipfel herum flogen, sah Michael Estella an, wie beeindruckt sie war.
Hinter den Ranges wurde das Land eben; meilenweit erstreckte sich flaches Weideland. Estella hätte am liebsten einfach nur die Aussicht genossen, doch Michael wollte mehr über sie erfahren.
»Sie hatten nicht viel Gepäck. Lassen Sie sich Ihre ärztlichen Instrumente auf dem Seeweg nachschicken?«
»Man sagte mir, ich könne Ross Coopers Instrumente benutzen.«
Michael Murphy bedachte sie mit einem tadelnden Seitenblick.
»Er kann schließlich nichts mehr damit anfangen!«, sagte sie.
»Oh, wir sind heute ja so schrecklich zart fühlend«, meinte Michael spöttisch.
Estella war gekränkt, konnte es sich aber nicht leisten, empfindlich zu sein. »Es gibt Dinge, da bin auch ich zart fühlend, aber manchmal muss man praktisch denken.« Zumal ihre verzweifelte Situation sie dazu zwang, doch das verschwieg sie natürlich.
Murphy sagte nichts, doch insgeheim fragte er sich, wer oder was sie so hart hatte werden lassen.
»Was für ein Mensch war Ross Cooper eigentlich?«, wollte Estella wissen.
»Er war ein großartiger Bursche.«
»Ein guter Tierarzt?«
»Ja, und ein guter Freund.«
Estella spürte deutlich, was Michael Murphy ihr damit zu verstehen geben wollte: Dass sie niemals an Ross Cooper heranreichen würde.
»Dann vermissen Sie ihn wohl sehr?« Ein Fluggast, mit dem sie sich in der großen Passagiermaschine unterhalten hatte, hatte ihr erklärt, dass in Australien Männerfreundschaften sehr wichtig genommen wurden.
»Alle in Kangaroo Crossing vermissen ihn sehr.« Michael wandte sich ab, die Lippen zusammengepresst. Estella erkannte, dass es besser war, das Thema zu wechseln. Sie schaute aus dem Fenster zu ihrer Rechten.
Ein wenig später überraschte Michael sie wieder mit einer sehr direkten Frage. »Warum wollten Sie ausgerechnet im Outback arbeiten?«
Estella musste sofort an James und seine Affäre mit ihrer Cousine denken, und ihr wurde übel. Stattdessen dachte sie an das Kind, das in ihr heranwuchs, und den neuen Anfang, den sie sich für sie beide erhoffte. »Ich brauchte ... nun ja, Luftveränderung, und als Florence Cooper erwähnte, dass in Kangaroo Crossing ein
Weitere Kostenlose Bücher