Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
Wahrscheinlich nannte sie es deshalb einen schrecklichen Ort. Der Sprung in die Einsamkeit des Outback war für sie als junge Braut, die sich in der Londoner Gesellschaft zu Hause fühlte, viel zu groß. Charlie ist dort glücklich, und ich weiß, dass auch Ross die Gegend sehr geliebt hat – also kann es nicht allzu schlimm sein.«
»Wie kommt es, dass Onkel Charlie auch dort lebt?«
»Er hat in England viel Pech mit seiner Arbeit gehabt und ist deshalb Ross und Caroline nach Australien gefolgt. Ich glaube, er hat dort zuerst eine Zeit lang in dem Hotel gearbeitet, das er später selbst übernommen hat. Nach dem, was Ross und Charlie mir erzählt haben, muss Kangaroo Crossing mitten in Australien liegen, zwölftausend Meilen von hier entfernt. Genau deshalb habe ich überhaupt davon angefangen.«
»Wie meinst du das?«, fragte Estella und blickte ihre Tante verständnislos an.
»Wie ich schon sagte, ist dein Vater vor ein paar Monaten gestorben. Nach seinem Tod hat dein Onkel Charlie mir geschrieben und gefragt, ob du dir vorstellen könntest, die Stelle deines Vaters als Tierarzt zu übernehmen.«
Estella riss verwundert die Augen auf.
»Ich hatte Charlie und Ross erzählt, dass du Tiermedizin studiert hast. Dein Vater war sehr stolz auf dich, genau wie Charlie. Ross besaß ein Haus, das jetzt leer steht, und Charlie hat bestimmt keine Verwendung dafür und für all dieärztlichen Instrumente, die auch noch da sein müssen. Unter diesen Umständen wäre das eine große Chance für dich.«
»Du sagtest, Ross sei schon einige Monate tot. Warum hast du mir nicht eher davon erzählt, Tante Flo?«
»Ich hab daran gedacht, aber ich hatte deiner Mutter ein Versprechen gegeben und es all die Jahre gehalten. Außerdem wusste ich, dass James seine Kanzlei niemals aufgegeben hätte. Vor allem dachte ich, du und James wärt glücklich miteinander.«
Estella brach wieder in Tränen aus. »Das dachte ich auch ...«
Florence reichte ihr ein Taschentuch. »Was hältst du davon, nach Australien zu gehen?«
Estella schnäuzte sich und tupfte sich die Tränen von den Wangen. »Ich weiß nicht, Tante Flo. Du sagtest, der Brief sei schon vor Monaten gekommen. Vielleicht haben die Einwohner von Kangaroo Crossing jetzt längst einen anderen Tierarzt.«
»Die Möglichkeit besteht natürlich.« Flo hielt inne und schien nachzudenken; dann sagte sie: »Warum legst du dich nicht ein wenig hin? Du siehst müde aus.«
Estella nickte. »Ich bin so müde, dass ich kaum noch klar denken kann.«
»Dann geh nach oben. Wenn du in ein paar Stunden nicht von selbst wach wirst, rufe ich dich.«
Florence hatte den Entschluss gefasst, Charlie anzurufen, sobald Estella schlief. In Kangaroo Crossing war es jetzt früher Abend, und Charlie stand wahrscheinlich in der Bar hinter der Theke.
Als Estella zwei Stunden später die Treppe herunterkam, schnitt ihre Tante gerade den Braten auf.
»Da bist du ja wieder! Ich habe Charlie angerufen«, sagte sie und schob sich ein kleines Stück Fleisch in den Mund.
»Wirklich?«
»Ja, und er sagte, sie haben noch keinen Ersatz für deinen Vater gefunden. Er würde sich sehr freuen, wenn du die Stelle übernehmen würdest!«
Die Verbindung nach Australien war so schlecht gewesen, dass Flo ihren Bruder kaum verstanden hatte – und das Lachen und Grölen seiner Gäste hatte die Verständigung noch schwieriger gemacht. Doch Flo war sicher, das Wichtigste mitbekommen zu haben, und nahm sich die Freiheit, hier und da Fehlendes zu ergänzen.
»Hast du ihm auch erzählt, dass ich schwanger bin?«
»Ja. Er meinte, das sei wahrscheinlich kein Problem.« In Wirklichkeit hatte Charlie erklärt, er würde es bis zu Estellas Ankunft niemandem sagen. Flo wusste von Charlie, dass die Leute in der Stadt es Caroline sehr übel genommen hatten, als sie Ross damals verließ, und dass sie ihren Zorn vermutlich auf Estella übertragen würden.
»Du hättest ein vollständig eingerichtetes Haus mit einem Praxisraum«, fuhr Flo fort, verschwieg jedoch, dass Charlie erklärt hatte, das Haus müsse erst gründlich in Stand gesetzt werden, und dass er sich darum kümmern wollte. »Du brauchst nur dorthin zu fahren.«
Estella sah ihre Tante verzweifelt an. »Ich ... ich habe kein Geld für die Reise ...«
»Ich habe eine kleine Summe beiseite gelegt«, sagte Flo. »Genug, um deine Überfahrt zu bezahlen.«
»Ich könnte niemals Geld von dir annehmen, Tante Flo ...«
»Mach dir deswegen keine Gedanken. Charlie sagte,
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