Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
freundlich zu mir, und Mai ist ein ganz besonderer Mensch. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum mein Vater sie geliebt hat.«
Phyllis nickte.
»Hast du sie dazu angestiftet, den Stall in Brand zu setzen?«, fragte Estella. Sie wollte wissen, in welcher Verfassung Mai gewesen war, als sie davonlief. Sie machte sich Sorgen um sie, und vor allem um Binnie. Das Kind musste völlig verängstigt und verwirrt sein.
»Nein – das schwöre ich. Ich mag eine Närrin sein, aber nie würde ich die Stadt auf diese Weise in Gefahr bringen.« Irgendwie fühlte Estella sich nach Phyllis’ Worten schlechter,denn nun wusste sie nicht, ob es Absicht oder ein unglücklicher Zufall gewesen war und ob Mai sich verletzt hatte.
Phyllis sah ihren Vater an. Er hielt den Kopf gesenkt und stand mit hängenden Schultern da, als wäre für ihn soeben eine Welt eingestürzt. Sie konnte das Geschehene nicht mehr ändern, doch sie konnte ihre Fehler eingestehen und vielleicht den Rest ihrer Selbstachtung retten.
»Es tut mir Leid, dass ich dich angelogen habe, Dad. Ich habe Stargazer die Pflaumen gegeben. Ich habe dich abgelenkt, indem ich einen der Arbeiter dazu brachte, Mai zu erzählen, ein Viehtreiber habe Binnie mitgenommen. Ich wusste, dass du ihr helfen würdest, nach der Kleinen zu suchen. Während du fort warst, habe ich Stargazer die Pflaumen gegeben. Ich dachte, wenn alle von Estella enttäuscht wären, würde sie abreisen. Ich weiß, dass das boshaft war und ich sie sehr verletzt habe ...«
Marty starrte stumm zu Boden. Ohne Phyllis anzusehen, nahm er ihre Hand und drückte sie, doch er fand keine Worte, die es ihr leichter gemacht hätten. Er konnte nur daran denken, wie enttäuscht Myrtle von ihrer Tochter gewesen wäre. Doch vielleicht wäre Phyllis anders gewesen, hätte ihre Mutter noch gelebt, sodass sie sich bei dieser hätte aussprechen können. Myrtle hatte immer die richtigen Worte gefunden.
Marty wandte sich um und ging wieder hinaus. Phyllis sah ihm nach, und seine Verzweiflung brach ihr fast das Herz. Sie hätte jede Strafe auf sich genommen, hätte ihr Vater sich dann besser gefühlt.
»Als ich Binnie fragte, wer ihrer Mutter Alkohol gab, sagte sie, sie dürfe es mir nicht sagen, weil ihr dann etwas zustoßen würde«, erklärte Estella. »Wovor hatte sie Angst?«
Phyllis seufzte. »Mai ist sehr abergläubisch, und das habe ich genutzt, um ihr Angst einzujagen. Sie wusste nicht, warum ich ihr Alkohol gab – aber ich wusste, dass sie ihn wie die meisten Aborigines nicht verträgt. Sie gerät völlig außer sich, wennsie etwas trinkt, und darauf hatte ich gesetzt. Ich ... war gemein und kann kaum glauben, was ich ... getan habe. Es wäre vielleicht für alle das Beste, wenn ich diese Stadt verlasse ... auch für mich selbst.«
»Mach dir keine Sorgen wegen deines Vaters«, meinte Murphy erleichtert. »Wir werden jemanden suchen, der ihm im Laden helfen kann.«
36
U nd?«, fragte Estella und blickte über ihren gewölbten Leib hinweg Kate an, die gerade dabei war, sie zu untersuchen. »Bitte sagen Sie mir ... wird mein Baby bald zur Welt kommen?«
»Es kann jede Minute losgehen«, erwiderte Kate lächelnd. »Der Kopf ist schon ganz in den Geburtskanal eingetreten, und alles scheint bereit.«
Estella sah sie so erschrocken an, dass Kate lachen musste. »Nehmen Sie es nicht so wörtlich. Es muss nicht jetzt sofort sein, aber es wird sehr bald geschehen. Ich würde sagen, im Laufe der nächsten Tage.«
Estella setzte sich auf. »Gott sei Dank. In dieser Hitze so schwerfällig zu sein, ist alles andere als angenehm. Und sehen Sie nur, wie geschwollen meine Füße sind!«
Kate sah sich ihre Füße an und betastete ihre Knöchel. »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Die Hitze und die in Ihrem Körper eingelagerte Flüssigkeit verursachen diese Schwellungen. Aber sie werden nach der Geburt wieder ganz zurückgehen. Bis dahin müssen Sie die Beine hochlegen, so oft es geht.«
»Ich konnte seit Wochen meine eigenen Schuhe nicht mehr anziehen und bin in Onkel Charlies Sandalen herumgelaufen, bis Murphy mir aus Alice Springs bequeme Slipper mitgebracht hat.«
Kate lächelte viel sagend. »Murphy ist sehr um Sie besorgt, nicht wahr?«
»Ja, das ist er«, erwiderte Estella ein wenig traurig.
»Er wird nicht aufgeben, das wissen Sie doch?«
Estella meinte einen leisen Vorwurf in Kates Worten zu hören. Murphy hatte seine Gefühle für sie mehr als deutlich gezeigt, und sie hielt ihn in der Hoffnung auf
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