Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
sah.
»Mückenlarven«, sagte Kylie gelassen. »Keine Angst, das haben wir gleich.«
Sie ging ins Haus, und Estella folgte ihr. Als Kylie in sämtlich Küchenschränke schaute, fragte Estella, was sie suche.
»Petroleum«, erwiderte Kylie. »Wenn man einen Tropfen davon auf die Wasseroberfläche gibt, tötet es alle Tierchen ab.«
»Aber schmeckt das Wasser dann nicht schrecklich?«
»Nein. Das Petroleum schwimmt auf der Oberfläche und vermischt sich nicht mit dem Wasser. Wenn die Larven zum Luftholen nach oben kommen, sterben sie. Zugleich ist es die einzige Möglichkeit, die Moskitos daran zu hindern, ihre Eierins Wasser zu legen.« Stirnrunzelnd sah sie Estella an. »Haben Sie dort, wo Sie herkommen, denn keine Regenwassertanks, Missus?«
»Nein. Wir sind froh, wenn es mal einen Tag lang trocken bleibt.«
Verwundert schüttelte Kylie den Kopf. »Es muss wunderbar sein, immer genügend Wasser zu haben«, sagte sie mit einer Miene, die Entzücken widerspiegelte – beinahe so, als hätte Estella vom Paradies gesprochen.
Diese versuchte sich vorzustellen, wie die Aborigines in der Wüste nach Wasser suchten, doch es gelang ihr nicht. »Ja, wahrscheinlich ist es in der Hinsicht wirklich ein Paradies«, erwiderte sie. Genügend Wasser zu haben, war ihr immer ganz selbstverständlich vorgekommen, doch jetzt überfiel sie die dunkle Vorahnung, dass diese Zeiten vorüber waren.
»Das hier reicht«, meinte Kylie und förderte aus dem Schrank unter der Spüle ein kleines Kännchen Paraffinöl zu Tage.
Das Schlafzimmer und der Behandlungsraum befanden sich in dem aus Stein gebauten Teil des Hauses, in dem es deutlich kühler war als in dem hölzernen Anbau. Estella stand im Türrahmen zum Schlafzimmer ihres Vaters, konnte sich jedoch nicht überwinden, den Raum zu betreten. Das Bett war sorgfältig gemacht, und das Zimmer wirkte ordentlich – wahrscheinlich genau so, wie ihr Vater es am Unglücksmorgen verlassen hatte. Auf dem Bett bemerkte sie eine kleine Mulde. Ob er dort gelegen hatte, als er gestorben war? Estella schauderte. Auf dem Nachttisch lagen mehrere Bücher und Ross’ Lesebrille. Estella fand, dass diese persönlichen Dinge ihn in ihrer Vorstellung wirklicher werden ließen, als er es bisher für sie gewesen war.
Plötzlich fühlte sie sich wie ein Eindringling. Ratlos schloss sie die Tür und wandte sich ab.
Der Behandlungsraum dagegen interessierte Estella sehr. Überall lag Staub, doch sämtliche Instrumente, die sie brauchte, waren vorhanden, und in einem Vorratsschrank entdeckte sie Regale voller Medikamente, Impfstoffe und Narkotika. Während Kylie Wasser heiß machte und das Geschirr abwusch, sah Estella den Vorratsschrank durch. Einige Medikamente waren abgelaufen; sonst aber fand sie fast alles, was sie brauchte, einschließlich einiger noch ungeöffneter Kisten, die offenbar nach Ross’ Tod geliefert worden waren. Estella musste zugeben, dass ihr Vater in allen Dingen, die seine Arbeit betrafen, gründlich und ordentlich gewesen war – genau wie sie selbst. Zum ersten Mal fragte sie sich ernsthaft, was für ein Mensch Ross gewesen sein mochte, und ob es noch andere Ähnlichkeiten zwischen ihnen gab. Wie im Schlafzimmer fühlte sie auch im Behandlungsraum seine Gegenwart, doch hier war das Gefühl ganz anders, seltsam tröstlich und beruhigend.
Bevor Estella es merkte, waren mehr als zwei Stunden vergangen. Als ihr plötzlich Kylie einfiel, überkamen sie Schuldgefühle, und sie machte sich auf die Suche nach dem Mädchen. Kylie arbeitete noch immer in der Küche, die jetzt makellos sauber war.
»Oh, Kylie, Sie haben ein wahres Wunder vollbracht«, sagte Estella gerührt. Der Spülstein blitzte, der Boden war gewischt, der Herd gescheuert und poliert, und nirgends war auch nur das kleinste bisschen Staub zu sehen. Sogar das Fenster hatte Kylie geputzt. Jetzt wirkte sie ziemlich erschöpft.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Estella.
»Der Gestank und die Ameisen sind jedenfalls fort, Missus.« Kylie ließ sich auf einen der Küchenstühle fallen. Sie war schweißüberströmt. »Aber mit den Fliegen werden Sie leben müssen.«
»Dann werde ich sehr viel Insektenspray kaufen«, erwiderte Estella. »Sie gehen jetzt nach Hause und ruhen sich aus. Siehaben genug getan, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin.«
»Ja, ich bin wirklich müde, Missus Estella. Aber ich kann morgen wiederkommen, wenn Sie möchten.«
»Danke, aber ich komme schon
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