Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
noch um einiges wachsen würde.
Ross Coopers Haus stand an der Torrens Street, die nach dem Fluss benannt war, der durch Adelaide strömte, wie Kylie berichtete. Das aus Holz und Stein errichtete Haus war im Vergleich zu den anderen von ansehnlicher Größe, doch eswirkte im hellen Licht des Tages schrecklich heruntergekommen. Das Verandadach war teilweise eingebrochen, und der Lack an Dachrinnen, Fensterbrettern und dem Holz war abgeblättert und verblichen, sodass man die ursprüngliche Farbe nicht mehr erkennen konnte. Die rostigen Wellblechschindeln auf dem Dach waren teilweise hochgebogen und voller Löcher, und obwohl die Veranda aus Beton gegossen war, sah es aus, als hätten die weißen Ameisen sich an den senkrechten Trägerpfosten gütlich getan. Estella versuchte, sich das Haus als Heim für sich und ihr Baby vorzustellen, und ihr wurde das Herz schwer.
Bei dem Gedanken, dass Ross offenbar nicht die geringste Anstrengung unternommen hatte, das Gebäude instand zu halten, stieg Zorn in ihr auf. Der so genannte Garten bestand nur noch aus Staub und verdorrtem Unkraut; lediglich einige Termitenhügel unterbrachen die Monotonie dieser Ödnis.
»Hatten Sie dort, wo Sie herkommen, auch so ein Haus, Missus Estella?«, wollte Kylie wissen.
Zuerst war Estella irritiert über diese Frage, dann aber wurde ihr klar, dass Kylie ja nichts über England und die großzügigen Anwesen in Mayfair wissen konnte.
»Ich hatte ein sehr großes Haus und einen schönen Garten mit vielen Blumen ... Glockenblumen, Nelken, Narzissen und Rosen.«
Kylie runzelte die Stirn. »Es muss viel Arbeit sein, sich um ein so großes Haus und einen Garten zu kümmern, Missus.«
Estella verspürte Sehnsucht nach ihrem luxuriösen Heim, doch sie wusste, dass es für sie verloren war – verkauft, um James’ Schulden zu begleichen. Wie sollte sie Kylie von Gärtnern und Hauspersonal berichten, ohne gleichzeitig zu erzählen, warum sie schwanger und ohne Haus, Ehemann und Geld dastand? Estella blickte auf Ross Coopers Heim: Sie würde niemanden bezahlen können, der ihr half, die Schäden zubeheben und das Gebäude in Schuss zu halten. Plötzlich wünschte sie sich, das Hause wäre kleiner.
»Das ist ein gutes Haus«, meinte Kylie, die auf der Veranda stand. »Allerdings gibt es immer was zu reparieren. Aber Ross hatte zu viel Arbeit und zu wenig Zeit dafür.«
Sie sah Estella an und las deren Gedanken. »Für Ross waren seine Freunde und die kranken Tiere stets am wichtigsten – ja, so war er«, sagte sie.
Estella musste an James denken und daran, wie oberflächlich und selbstsüchtig er war. Er hätte niemals die Bedürfnisse seiner Freunde und der Tierpatienten über seine eigenen gestellt – er hatte ja nicht einmal Rücksicht auf die seiner Frau genommen! Wäre Estella nicht so wütend auf ihn gewesen, hätte sie vielleicht zum Teil verstanden, was es für James bedeuten musste, alles zu verlieren. Doch es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie keine Sicherheiten mehr besaß, und das versetzte sie regelrecht in Panik.
»Ross hätte für jeden alles getan«, sagte Kylie. »Seine Missus hat ihn verlassen, kurz nachdem sie hierher gekommen waren. Sie wusste wohl nicht, was sie an ihm hatte.«
»Hat er Ihnen jemals von seiner Frau erzählt?«, erkundigte sich Estella, und ihr Herz schlug plötzlich schneller.
»Nein. Er hat nie über sich selbst gesprochen, aber in einer so kleinen Stadt wird viel getratscht. Ich weiß nicht, was aus Ross’ Missus geworden ist, aber sie hätte froh sein sollen, einen Mann wie ihn zu haben. Er war still und sanft, nicht wie die schwarzen Männer von den Stämmen. Seit die Weißen ins Land kamen, schlagen sie ihre Frauen ständig.«
»O Gott!«, stieß Estella hervor. »Kann man sie dafür nicht verhaften lassen?«
Kylie schüttelte den Kopf. »Nach dem Gesetz der Aborigines ist es erlaubt, eine Frau zu schlagen, und die Weißen halten sich aus solchen Dingen heraus.«
Estella versuchte, sich ihre Mutter in Ross Coopers Hausvorzustellen. »Vielleicht hat Ross’ Frau das Leben hier draußen einfach nicht ertragen, Kylie. Es ist ganz anders als das Leben in London.«
»Ja, vielleicht, Missus.«
Estella setzte eine tapfere Miene auf und öffnete die Haustür. Sofort wurde sie von dem gleichen Gestank überfallen, der ihr am Abend zuvor schon den Magen umgedreht hatte. Doch an diesem Morgen fühlte sie sich stärker und schaffte es, ins Haus zu gehen, ohne würgen zu müssen. Kylie, die einen
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