Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
ihr ein paar Corned-Beef-Sandwiches machte. Sie nahm sich vor, nur noch zu essen, ein Bad zu nehmen und dann früh schlafen zu gehen.
Als sie sich dem Haus näherte, sah sie an der Hinterseite Rauch aufsteigen. Sie eilte durch den Vordereingang und lief bis zur Hintertür, die offen stand. Auf dem Küchentisch lagen Samenhülsen und Rinde.
»Kylie!«, rief Estella, die sich nicht vorstellen konnte, dass sich jemand anders in ihrem Haus aufhielt. Sie schaute nach draußen, wo ein Lagerfeuer brannte, sah jedoch niemanden. Dann hörte sie irgendwo im Innern eine Tür schlagen. Sie fuhr herum und zuckte erschrocken zusammen, als sie eine Aborigine-Frau durch den Flur in die Küche kommen sah.
»Wer du?«, keifte die Frau in gebrochenem Englisch und zeigte mit dem Finger auf Estella. Sie war klein und dünn, mit krausem Haar und wildem Gebaren. Unaufhörlich schrie sie in ihrem Kauderwelsch auf Estella ein und gestikulierte heftig mit den Armen. Um die Augen herum hatten sich tiefe Falten in ihre Haut gegraben. Ihr Blick war furchteinflößend, und sie trug ein ausgeblichenes, wie mit Blut beschmiertes Wickeltuch, das unangenehm roch.
»Wer sind Sie denn?«, fragte Estella verwirrt. »Was tun Sie in meinem Haus?«
»Das mein Haus!«, kreischte die Frau.
Estella glaubte ihren Ohren nicht trauen zu können. »Haben Sie den Verstand verloren? Das hier ist mein Haus! Und jetzt gehen Sie!«
Die Frau machte eine spöttische Handbewegung. »Du gehen!«, rief sie.
»Schauen Sie sich an, was Sie hier angerichtet haben!«, schimpfte Estella mit einem Blick auf den Tisch und denFußboden, auf dem die Sachen der Frau verstreut herumlagen. Estella war zu müde, um klar denken zu können. »Haben Sie etwa das Haus geplündert? Ich besitze weder Geld noch Wertsachen!«
»Wovon du reden? Das mein Haus!«, rief die Frau.
»Nein, das ist nicht Ihr Haus. Ich weiß nicht, woher Sie kommen oder wo Sie wohnen, aber jedenfalls nicht hier. Und jetzt gehen Sie endlich!«
»Haus gehört mein Mann«, beharrte die Frau lautstark. »Jetzt mein Haus!« Damit wandte sie sich um und stürmte hinaus.
Estella versuchte noch, einen Sinn in ihren Worten zu entdecken, als die Frau zurückkam, diesmal mit einem Stock bewaffnet. »Kommen Sie mir nicht zu nahe!«, warnte Estella, packte den Besen, der in der Ecke stand, und richtete ihn auf die Frau. »Wo sind denn Ihre Sachen, wenn Sie hier wohnen?« Sie wollte der anderen vor Augen führen, wie unlogisch ihre Behauptung war, denn sie hatte bisher nirgendwo etwas entdeckt, das einer Frau gehört hätte.
Die Frau starrte sie verwundert an. Estella wusste noch nicht, dass die Aborigines im Busch keine persönlichen Besitztümer kannten. Sie hob ein gerahmtes Foto ihrer Eltern vom Küchenboden auf, das am Morgen noch im Wohnzimmer gestanden hatte. »Das hier ist meine Familie!«, erklärte sie. »Wie kommen Sie dazu, das Bild einfach auf den Boden zu werfen? Ich sollte die Polizei rufen!«
Ihre Worte schienen die Frau nicht im Geringsten zu beeindrucken. »Du gehen!«, sagte sie und schwang den Stock.
»Ich bin schon seit einigen Tagen hier. Wenn das hier wirklich Ihr Haus ist, wo waren Sie dann die ganze Zeit?«
»Ich walkabout «, lautete die Antwort.
Jetzt tauchte hinter der Frau ein kleines Kind mit verschrecktem Blick auf und klammerte sich an sie. Estella sah in die großen braunen Augen, und all ihr Kampfeswille verließ sie. Langsam ließ sie den Besenstiel sinken.
»Ross Cooper mein Mann«, sagte die Aborigine. »Das Binnie, unser Kind.«
Estella konnte es nicht fassen. Das kleine Mädchen sah tatsächlich wie ein Mischlingskind aus.
»Ich ... bin die neue Tierärztin. Charlie Cooper hat mir gesagt, ich könne hier wohnen. Er hat nichts davon erwähnt, dass Ross eine Frau und ein Kind hatte.« Estella wurde klar, dass das kleine Mädchen ihre Halbschwester war, falls die Geschichte stimmte. »Waren Sie legal verheiratet?«, fragte sie die Frau, die sie nur verwirrt anstarrte. »Haben Sie eine Heiratsurkunde?« Sie versuchte herauszufinden, ob die Frau wirklich einen Anspruch auf das Haus besaß. So herzlos es sein mochte – sie musste praktisch denken.
»Wir verheiratet nach Aborigine-Recht«, sagte die Frau.
Estella ließ sich auf einen Stuhl sinken. Ihr schwirrte der Kopf. Sie wusste nicht, was das bedeutete, und ob diese Ehe von der weißen Gemeinschaft rechtlich anerkannt wurde. »Wie heißen Sie?«, erkundigte sie sich.
»Mai.«
»Ich bin Estella. Ross ist tot, Mai, und ich
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