Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
stand, fügte sie in Gedanken hinzu.
Phyllis schien verblüfft. »Ich kann kaum glauben, dass Sie sich tatsächlich glücklich schätzen. Dieser Ort muss doch ein furchtbarer Schock für Sie gewesen sein!« Sie runzelte die Stirn. »Charlie hat Ihnen die Stelle über seine Schwester in England angeboten, nicht wahr?«
»Ja. Ich kenne Florence Cooper seit vielen Jahren.«
»Bestimmt hat er Florence geschrieben, die Stadt sei ›ziemlich klein‹. Dass sogar auf einem Friedhof mehr Betrieb herrscht, hat er ihr sicher verschwiegen.«
Estella musste lachen. »Man hat mir tatsächlich nicht gesagt, dass Kangaroo Crossing so abgelegen ist und dass die meisten katholischen Familien in Irland mehr Menschen zählen als dieser Ort, aber allmählich gewöhne ich mich daran.«
»Sie wollen doch nicht etwa hier bleiben?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich muss arbeiten, aber ich habe keine Ahnung, wie lange die Besitzer der stations und Farmen brauchen, bis sie mir ihr Vieh anvertrauen. Wie Sie schon sagten, bin ich jung und außerdem eine Frau – eine sehr ungünstige Kombination.«
»Ich würde nicht damit rechnen, dass die Farmer Ihnen jemals vertrauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es morgen regnet, ist in etwa so groß wie die, dass diese Männer ihre Einstellung ändern. Wenn ich Sie wäre, würde ich versuchen, in einer der größeren Städte eine Stelle zu finden. Wahrscheinlich würden die Leute dort eine junge Tierärztin eher akzeptieren.«
Estella fragte sich, ob Phyllis sie vielleicht loswerden wollte. Wieder meinte sie zu spüren, dass Phyllis sie als Rivalin betrachtete. »Ich hatte Glück, dass mir diese Stelle angeboten wurde, gerade weil ich so unerfahren bin. Und nun muss ich darauf bauen, dass die Leute hier früher oder später meine Hilfe annehmen ... und das hoffentlich, bevor ich verhungert bin. Und was die Stadt angeht: Ich kann schlecht die Beine in die Hand nehmen und davonlaufen, nur weil Kangaroo Crossing nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt hatte.«
Zu ihrer Überraschung lächelte Phyllis. »Ich für meinen Teil bin froh, dass Sie hergekommen sind. In der Stadt gibt es nicht viele Frauen in meinem Alter, von Kylie einmal abgesehen. Es ist schön, jemanden aus einer Großstadt hier zu haben, mit dem man sich nett unterhalten kann. Sie können sich bestimmt vorstellen, dass Dad und ich uns nicht allzu viel Interessantes zu erzählen haben, weil wir zusammen leben und arbeiten.«
Estella war ebenso gerührt wie verwundert über Phyllis’ Offenheit, denn von ihr hätte sie ein solches Freundschaftsangebot am wenigsten erwartet.
»Möchten Sie nicht zum Essen bleiben, Phyllis?«
»Das würde ich gern, aber ich habe Dad versprochen, ihm heute Abend etwas Schönes zu kochen. Er hat die monatliche Abrechnung gemacht und ist rechtschaffen müde.«
»Natürlich, das verstehe ich. Vielleicht ein anderes Mal?«
Phyllis nickte und betrachtete die Fotos von Estellas Familie. Sie nahm ein Bild von Barnaby in die Hand. »Wer ist dieser gut aussehende junge Mann?«
»Mein Bruder. Und das dort sind meine Eltern.«
»Ich weiß nicht, wem Sie ähnlicher sehen«, meinte Phyllis und betrachtete eingehend Estellas Züge. Barnaby war mit seinem sandfarbenen Haar und dem Grübchen im Kinn das genaue Abbild von Marcus. Caroline war ein sehr heller Typ mit hellbraunen Augen. Estella jedoch sah vollkommen anders aus. Ihre Haare waren fast schwarz, ihre Augen tiefgrün.
Das einzige Bild von Ross, das sie besaß, war alt und noch in Schwarz-Weiß aufgenommen, doch man erkannte trotzdem, dass er ebenfalls sehr dunkle Haare gehabt hatte, genau wie Estella.
Rasch wechselte sie das Thema. »Gibt es von den Picknick-Rennen abgesehen noch andere gesellschaftliche Ereignisse in Kangaroo Crossing?«
Phyllis nickte. »Marjorie Waitman organisiert am Abend vor den Rennen immer einen Ball. Sonst kommen die meisten Farmer mit ihren Familien und Arbeitern alle zwei Wochen her, wenn sie nicht gerade scheren oder eine Viehzählung durchführen. Dann treffen sie sich in der Bar, und an manchen Abenden geht es ziemlich hoch her.«
»Ich nehme an, es gibt viele allein stehende Männer auf den Farmen?«
»Das stimmt. Überhaupt herrscht im Outback Frauenmangel. Also passen Sie auf!«
Estella errötete. »Ich habe nicht meinetwegen gefragt. Ich selbst habe vor, mich ausschließlich um den Aufbau meiner Praxis zu kümmern. Aber bei Ihrem Aussehen müssen Sie sich die vielen Verehrer sicher mit Gewalt vom Leib
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