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Ein Hologramm für den König

Ein Hologramm für den König

Titel: Ein Hologramm für den König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Spinners. Die Briefe und Zeitungsausschnitte, die Kopien, handelten allesamt von Gott, vom Einssein mit der Natur. Das war der Kram, der Charlie bewegte. Größe, Größe – das war das Wort, das ihm gefiel. Größe und Ehrfurcht und Heiligkeit, Verbundenheit, Verbundenheit mit der Außenwelt. »Alan, alle Antworten sind in der Luft, den Bäumen, dem Wasser!«, hatte er auf die Ränder von diesem oder jenem Brook-Farm-Manifest geschrieben. Und dann war er in einen eiskalten See gewatet und hatte sich von ihm umbringen lassen. War das seine Vorstellung von Verbundenheit, seine Idee von Einssein?
    Charlie hatte zwei Töchter, Fiona und die andere; Alan kam nicht auf den Namen. Sie waren beide älter als Kit, zu alt, um Spielkameradinnen gewesen zu sein. Sie hatten glattes Haar, weit auseinanderstehende Augen, und jede hielt den Kopf vorgestreckt, tief, wie ein Hut an einem Haken.
    Da war die Sache mit Fiona gewesen, das seltsame Feuer im Baum. Der Nachmittag damals war dunkel, mit leichtem Regen und kurzen, aber hysterischen Windstößen. Alan kam früh nach Hause, als er Fiona auf der Straße stehen sah, die Augen nach oben gerichtet. Sie war da etwa sechzehn. Er hielt seinen Wagen an und kurbelte das Fenster runter.
    – Ganz schön tapfer von dir, hier draußen zu sein, sagte er. Sie hatte ihr Handy in der Hand und hielt es so, dass das Display zum Himmel zeigte. Machst du irgendein naturwissenschaftliches Experiment?
    Sie lächelte. – Hi, Mr Clay. Der Baum da brennt, sagte sie und zeigte auf eine hohe Eiche auf der anderen Straßenseite.
    Alan stieg aus dem Wagen und sah ein sehr kleines Feuer in der Gabel des Baumes flackern, in etwa sechs Meter Höhe. Das Feuer hatte die Größe eines Eichhörnchens und sah ganz ähnlich aus.
    – Ein Strommast ist umgekippt, sagte sie.
    Neben dem Baum war der Mast in zwei Teile gebrochen. Dabei war ein Kabel durchtrennt worden, das jetzt nackt dalag, und ein Funke hatte einen kleinen Haufen welkes Laub entzündet.
    Fiona hatte schon die Feuerwehr verständigt, also standen sie beide einfach da und sahen zu, wie das Feuer bei jeder kleinen Windböe weiß aufglühte.
    Eine schwache Sirene. Hilfe war unterwegs.
    – Tja, das wär’s dann, sagte sie. Bis bald, Mr Clay.
    Sie waren jetzt beide erwachsen, Fiona und die andere. Wo waren sie? Alan hatte sie auf der Beerdigung gesehen, fast unverändert, zu jung. Aber sie waren alt genug. Sie hatten einen Vater gehabt, er hatte lange genug durchgehalten. Vaterschaft tötet Väter. Irgendwer hatte das mal im Scherz gesagt, während einer Runde Golf. Aber Charlie hatte genug getan, hatte er wirklich. Das allein zählt. Sie hatten einen Vater gehabt, sie waren zu starken Menschen herangewachsen, und jetzt war er nicht mehr da. Das war doch alles in Ordnung so. Oder auch nicht.
    Ein netter Mann, ein lieber Mann, ein erfrorener Mann am schlammigen Ufer eines See, umringt von uniformierten Leuten, die versuchten, ihn wiederzubeleben.
    Alan ging rein und nahm sich ein Blatt Papier.
    »Kit, leb lange genug und Du enttäuschst jeden. Die Leute denken, Du kannst ihnen helfen, und meistens kannst Du das nicht. Und so läuft es darauf hinaus, dass Du Dir ein oder zwei Menschen aussuchst, die Du möglichst nicht zu enttäuschen versuchst. Der Mensch in meinem Leben, den ich unter keinen Umständen enttäuschen möchte, bist Du.«
    Nein, nein. Blödsinn. Mist. Er kippte wieder einen Fingerbreit Schnaps in sich rein und fing neu an.
    »Kit. Als ich beruflich viel unterwegs war, bin ich manchmal erst nach Hause gekommen, wenn Du schon im Bett warst, und ich wusste, ich würde am nächsten Morgen schon wieder weg sein, bevor Du wach wurdest. Da warst Du ungefähr drei. Wir wohnten in Greenville, Mississippi. Es hat Dir da eine Zeit lang richtig gut gefallen. Wir hatten ein großes Grundstück. Viertausend Quadratmeter. Deine Mutter hat es gehasst. Mein Gott, sie hasste Mississippi. Aber ich kam meist spät nach Hause. In der Fabrik ging es drunter und drüber. Die Arbeiter hatten keine Ahnung von nichts. Wir hatten Schwinn komplett dahin verlegt, und es war ein Desaster. Du trugst noch Windeln, obwohl Du dafür eigentlich schon zu groß warst. Aber es kam immer mal wieder vor, dass Du wach wurdest, nass, und dann stand ich auf, um Deine Windeln zu wechseln. Ich sorgte dafür, dass Deine Mutter mich das machen ließ, und ich wechselte Deine Windeln, und obwohl ich nicht wollte, dass Du wach wurdest, Dich erschrecktest, hoffte ich doch, Du würdest die

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