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Ein Hologramm für den König

Ein Hologramm für den König

Titel: Ein Hologramm für den König Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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eine Sicherheitsnadel brauchen.
    Er durchsuchte die Schubladen im Zimmer und fand nichts. Er sah im Schrank nach und fand ein Nähetui. Noch besser.
    Das Brot kam, und er quittierte es mit angehaltenem Atem. Er wollte keinen Ärger mit der Mutawa. Alan hatte sich die Zähne geputzt, ja, aber vielleicht würde der Kellner trotzdem was merken. Alan warf ihm einen Blick zu, als er das Tablett aufs Bett stellte, doch die Augen des Kellners waren milde. Er interessierte sich nicht für Alan, und er ging, und Alan schloss die Tür hinter ihm und fühlte sich prächtig. Er legte sich aufs Bett und aß sein Gebäck und las dabei durch, was er Kit bislang geschrieben hatte. Es ergab keinen Sinn.
    »Was Charlie gemacht hat, würde ich nie machen, falls Du Dich das fragst«, schrieb er, strich es dann durch. Kit hätte so was ohnehin nicht gedacht. Bleib konzentriert, dachte er.
    »Oh Gott Kit, die Zeit in Greenville, das tut mir leid. Ich war an einer bescheuerten Entscheidung beteiligt. Die Gewerkschaften in Chicago hatten uns total Druck gemacht, und wir beschlossen, alles nach Mississippi zu verlagern, wo uns keine Organisierten behelligen würden. Oh Mann, was für ein Schlamassel. Die Räder, die wir da produzierten, waren Schrott. Wir hatten hundert Jahre Know-how weggeworfen. Wir dachten, es wäre effizienter, und es war das Gegenteil. Und ich war die ganze Zeit nicht da. Ich war schon an Taiwan und China dran. Ich habe da ein paar Jahre verpasst. Ich wollte nicht in Taiwan sein, oder? Aber alle anderen waren da. Ich habe ein paar von Deinen wichtigen Jahren dort verpasst, und das bedauere ich. Gottverdammt. Effizienter ohne die Gewerkschaften, weg mit ihnen. Effizienter ohne amerikanische Arbeiter, basta, weg mit ihnen. Wieso hab ich das nicht kommen sehen? Auch effizienter ohne mich. Mensch, Kit, wir haben es so effizient gemacht, dass ich überflüssig wurde. Ich hab mich selbst bedeutungslos gemacht.
    Aber Deine Mutter war da. Was auch immer sie getan hat, dass Du so wütend auf sie bist, eines sollst Du wissen: Du bist die, die Du bist, dank Deiner Mutter, dank ihrer Stärke. Sie wusste, wann sie das Schleppboot sein musste. Den Ausdruck hat sie geprägt, Kit. Das Schleppboot . Sie war der Halt, sie umschiffte die Gefahren, die in der Tiefe lauerten. Du hältst mich jetzt für den Halt, aber hast Du gewusst, dass Deine Mutter es die ganze Zeit war?«
    Er wusste, sobald er das geschrieben hatte, dass er nichts davon abschicken würde. Er war völlig fertig. Aber wieso fühlte er sich so stark?
    Er ging zum Spiegel und fand die Nadel. Er hatte den Trick vom Kuchenbacken im Kopf – den Zahnstocher reinstecken, sehen, ob was kleben bleibt. Wenn er sauber rauskommt, ist der Kuchen fertig.
    Er suchte nach einem Streichholz. Er hatte keine Streichhölzer. Er war betrunken und hatte es satt, nach Sachen zu suchen. Die Nadel kam ihm steril genug vor. Er drehte sich zum Spiegel, hielt die Geschwulst mit der linken Hand, die Nadel in der rechten und zielte. Er wusste, wie es sich anfühlen würde; er hatte die Haut schon einmal eingestochen. Aber jetzt musste er tiefer rein, so tief, dass das, was immer da an Krebs war, dran hängen bleiben würde. Natürlich würde es das. Das Fremde klammert sich an Fremdes.
    Es wäre am besten, es schnell zu machen, dachte er und stieß die Nadel hinein. Der Schmerz war heftig, weiß glühend. Er hatte das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen. Aber er blieb stehen, und er drückte die Nadel weiter. Er wusste, er bräuchte mindestens zwei Zentimeter. Er drückte und drehte, und der Schmerz ließ wie durch ein Wunder nach. Er war jetzt dumpf, pochte überall, pochte im Herzen, in den Fingerspitzen, und es fühlte sich alles sehr gut an.
    Er zog die Nadel heraus und blickte darauf, rechnete mit irgendetwas Grauem oder Grünem, die Farben des Verderbens. Doch er sah bloß Rot, dickflüssiges Rot, während das Blut ihm in Ranken den Rücken hinunterlief, wie beim ersten Mal.
    Er fühlte sich gut, er fühlte sich zufrieden, als er das Blut auf dem Rücken betupfte und die Nadel abspülte. Das ist Fortschritt, dachte er.
    Der nächste Morgen wäre der Beginn der saudischen Arbeitswoche. Er war noch immer halb betrunken, aber bereit, sich am Riemen zu reißen. Er rief Jim Wong an und sagte ihm, er könne ihn mal kreuzweise, es würde bald Geld reinkommen, und wenn er es haben wolle, müsse er Rückgrat zeigen und sich daran erinnern, dass sie eigentlich Freunde seien. Er machte zehn Hampelmannsprünge

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