Ein Hologramm für den König
Gehege, glaubte er, das Tier zumindest anschießen zu können.
Er beobachtete, wie der Rest der Jagdgesellschaft sich rings um das Gehege verteilte. Er zählte neun Schützen, einschließlich der jungen Cousins. Sollte ein Wolf sich dem Gehege nähern, waren reichlich Gewehre bereit, ihn zu erlegen.
Alan wollte kein Tier töten. Ihm graute vor dem Moment, wenn der von einer Kugel getroffene Wolf zusammenzucken, herumtorkeln und dann, unfähig, sich zu bewegen, mit Blei vollgepumpt werden würde. Ihm graute davor, den röchelnden Atem des Wolfes zu hören, während sie um ihn herumstanden und darauf warteten, dass er starb. Aber es schien unwahrscheinlich, dass irgendein Tier, und wenn es noch so blöd oder verzweifelt war, das Gehege unter diesen Bedingungen betreten würde, bei den vielen Menschen in der Nähe, bei dem hellen Licht. Andererseits verstand Alan nichts von der Jagd, von der Wolfsjagd, von der Wolfsjagd in den Bergen Zentral-Saudi-Arabiens.
Alans Vater hatte ihm das Schießen beigebracht, das heißt, er hatte ihn immerhin ein paarmal mit auf die Jagd genommen. Er hatte ihm nicht viel beigebracht. Als Alan zehn war, hatte er ihm eine alte Winchester Kaliber .22 in die Hand gedrückt und gesagt: Mach alles so wie ich . Ron benutzte ein halb automatisches Gewehr Kaliber .45, und Alan war hinter ihm hergegangen. Wenn Ron sein Gewehr hob, hob Alan seins. Schließlich brachte Ron ihm bei, in den Schuss hineinzuatmen, das Gewehr möglichst eng am Körper, an der Wange zu halten. Aber Alan war nicht so begeistert, wie Ron gehofft hatte, und nach jenen ersten paar Versuchen war die Sache gegessen.
Auf der anderen Talseite erschien ein weiteres Paar Autoscheinwerfer, ein blauer Sonnenaufgang hinter der zerklüfteten Silhouette des Bergkamms. Alan sah Yousef an. Yousef zuckte die Achseln. – Das hier ist ein großes Ereignis. Alle wollen mitmachen. Es ist wie Weihnachten. Yousef dachte kurz darüber nach. Vielleicht nicht wie Weihnachten.
Alan blickte in das Gehege und sah nichts. Die Schafe hatten unter ihrem Wellblechdach Schutz gesucht, und der Wolf hatte sich noch nicht getraut, die Bühne zu betreten. Yousef senkte sein Gewehr und rieb sich Schulter und Hals.
Er blickte Alan an. – Hey, wie geht’s Ihrem Nacken?
– Gut. Tut weh.
Alan sah, dass Yousef lächelnd den Anblick auf sich wirken ließ, wie Alan über dem Felsen lag, das Gewehr im Anschlag.
– Waren Sie je in der Armee?, fragte er.
– Nein, hab ich Ihnen doch schon gesagt.
– Sie haben gesagt, Sie wären nicht bei der CIA .
– Ich war auch nicht in der Armee. Aber mein Dad.
– Und hat er gekämpft?
– Ja. Im Zweiten Weltkrieg.
Yousef gab einen beeindruckten Laut von sich. – Wo?
Die Mythologie der Veteranen des Zweiten Weltkriegs sieht vor, dass sie nicht gern über den Krieg reden, aber Ron zögerte nie. Alles konnte ihn in Fahrt bringen. Ein italienischer Akzent in irgendeiner Fernsehsendung und schon erzählte er von den beiden Mussolini-Soldaten – er bezeichnete sie nicht als italienische Soldaten, denn, so sagte er, wahre Italiener waren weder Anhänger dieses Wahnsinnigen, noch kämpften sie für ihn –, die er getötet oder zu töten geholfen hatte. Der Anblick einer Krankenschwester löste Geschichten über die deutschen Krankenschwestern aus, die er gekannt hatte, die britischen an Bord seines Schiffes nach Hause, die polnische, die er recht intim gekannt hatte. Diese Geschichte erzählte er erst, nachdem Alans Mutter gestorben war. Ron war im Alter wirklich deftig geworden, was? Aber da waren diese Geschichten, bessere Geschichten, als Alan auf Lager hatte oder je haben würde, Geschichten, die mit irgendeiner Verwundung begannen, Geschichten, die ausgelöst wurden, wenn er Schubert hörte, Wagner, wenn er sich historische Dokumentationen im Fernsehen anschaute.
Alan erzählte Yousef den besten Teil, dass sein Vater von den Nazis gefangen genommen und ins Kriegsgefangenenlager bei Mühlberg gesteckt worden war, und als die Sowjets die Region überrannten, rechneten alle im Lager damit, befreit zu werden, aber nichts geschah. Sie hatten den Verdacht, dass Stalin die Gefangenen irgendwie als Pfand benutzte, dass er sie festhielt, während er seine Optionen auslotete. Ron und ein Mitgefangener wussten, dass da irgendwas nicht stimmte, und obwohl sie Anweisung hatten, sich nicht vom Fleck zu rühren, geduldig zu sein und den Gang der Ereignisse zu respektieren, wollten sie raus. Sie wollten nach Hause. Also klauten
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