Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
Vom Netzwerk:
der Woche gingen sie zusammen aus: ins Operncafé oder ins Café Richter . Sie hatten keine Geheimnisse voreinander.
    »Deine Mutter ist auch meine Mutter«, hatte David einmal gesagt.
    »Du hast deine eigene Mutter«, hatte Theodor zurückgegeben, aber mit der konnte David nichts anfangen. Übellaunig hockte sie in einer Zweizimmerwohnung in Ingelheim am Rhein und hatte nicht gern Besuch. Schon gar nicht von ihrem so merkwürdig aus der Art geschlagenen Sohn. Ruth Tietze war Davids Lebensweise ein Gräuel. Erst das Herumgefliege in der Weltgeschichte. »Was bist du, Sohn?«, hatte sie ihn gefragt. »Eine Hornisse? Eine Wildgans?« Aber dann war alles noch schlimmer gekommen. David hatte sich mit einem Mann zusammengetan, mit diesem Seelenklempner, den sie nie hatte kennenlernen wollen.
    Seit einiger Zeit behauptete ihr einziger Sohn von sich, ein Künstler zu sein. Es wurde ja immer bunter. Er male Bilder, hatte er ihr erklärt, die aus der Tiefe seiner Seele aufstiegen, aber davon wollte sie nichts hören. Sie wollte überhaupt nichts mehr hören von David. Sie hatte ja noch ihre Tochter Corinna, und die machte ihr nur Freude.
    »Meine Mutter!«, sagte die Frau auf der Couch gerade etwas lauter und riss Theodor damit aus seinem Gedankenstrom. Mütter, Töchter, Söhne, Väter, Großväter, Stiefmütter, Patentanten, Halbbrüder. Theodor schwirrte der Kopf. Die heilige Familie … machte eigentlich bloß Scherereien.
    Er versuchte sich vorzustellen, was die Frau eben von ihrer Mutter erzählt haben könnte, während er gedanklich so intensiv bei Ruth Tietze gewesen war. »Haben Sie denn mit ihr darüber gesprochen?«, fragte er zögernd. Das passte meistens.
    »Na, sagen Sie mal!« Die Frau richtete sich auf und starrte ihn an. »Haben Sie mir überhaupt zugehört?«
    »Gewiss doch«, beeilte sich Theodor zu sagen.
    »Wie kann ich denn mit meiner Mutter sprechen«, rief sie schrill, »wenn sie seit siebzehn Jahren tot ist?«
    Das wird schwierig, dachte Theodor. »Nun …«, er räusperte sich, »Zwiegespräche mit Toten können eine heilende, tröstende Wirkung haben und …«
    »Ich will mit der alten Natter überhaupt keine Zwiegespräche führen!«, schrie die Frau. Ihr Gesicht war dunkelrot angelaufen.
    Wieder daneben, sagte sich Theodor.
    Kurz darauf war die Frau gegangen. Wütend hatte sie die Tür hinter sich ins Schloss fallen lassen. Theodor schluckte. Die Anzahl von Klienten, die verärgert oder verwirrt die Praxis verließen, stieg an.
    Theodor ging zum Fenster, öffnete es, schloss es wieder. Dann legte er sich auf die rote Couch. Sie war noch warm, was ihn ein wenig abstieß. Trotzdem blieb er liegen. Was war bloß schiefgelaufen? Er hatte sich mit David so sicher gefühlt. Er hatte ihm all sein Vertrauen entgegengebracht, all seine Liebe, sein Leben, er hatte ihm sein Herz in die Hände gelegt. Jawohl, sein Herz . Und dieser Verräter … »Aaargh«, hörte sich Theodor machen. Vielleicht war es ja ein bisschen voll in Davids Händen geworden? Hatte er ihn überfordert? Ihm zu viel abverlangt? War er, Theodor, tatsächlich besitzergreifend und kompliziert? Natalie Schilling hatte das gestern verneint. Eine nette Frau war das, er würde sich gern mal mit ihr darüber unterhalten. Sie konnte gut zuhören, wenn sie dabei auch ein wenig zu viel Anteil zu nehmen schien. Ein bisschen von der Rolle war sie wohl, aber das ließ sich ja beheben. Wie sie in der Geisterbahn geschrien hatte. Theodor rieb sich das linke Ohr.
    Sie hatte eine so natürliche, ehrliche Art. Er würde gern mal einen Kaffee mit ihr trinken und mehr über ihre Kochkolumne erfahren und sie fragen, ob … aber halt, halt, halt ! Sie war ja eine Klientin von ihm.
    Schluss. Aus. Ende.
    Theodor seufzte. Und da seine positive Gedankenschwingung in diesem Moment wieder »auf Sinkflug ging« (so hätte David es formuliert), wurde ihm das ganze Ausmaß seines Beziehungsdramas bewusst. Wenn er nur wüsste, wie damit umzugehen war. Er hieb mit der Faust immer wieder auf das dunkelrote Polster, bis eine Sprungfeder ein genervtes Geräusch von sich gab.
    »Haben Sie denn mal mit ihm darüber gesprochen?«, äffte sich Theodor selbst nach und zog eine Grimasse. »Wie soll ich denn mit einem reden, der mit roten Farbtöpfen wirft?«
    Er setzte sich auf. »Außerdem«, fuhr er halblaut fort, »ist es ja wohl kaum an mir, das Gespräch zu suchen. Er hat ja mich verlassen. Ich habe mir aber nichts vorzuwerfen. Ich war ja glücklich. Ich wollte nur gern mit

Weitere Kostenlose Bücher