Ein Hummer macht noch keinen Sommer
ihm zusammenziehen. Ist das etwa ein Schwerverbrechen? Ich …« Ist dir aufgefallen, dass du jeden Satz mit dem Wörtchen Ich begonnen hast? , hörte er Davids Stimme in seinem Kopf widerhallen.
»Nicht jeden«, widersprach Theodor. Und dann schluckte er eine Prozac.
Bis zum Nachmittag waren keine weiteren Klienten vorgesehen. Ich gehe zu Maman, beschloss Theodor und stand auf.
Hertha hatte Wert darauf gelegt, dass er sie so nannte. Schließlich war er ein halber Franzose.
▶◀
Während Theodor sich auf den Weg zu seiner Mutter machte, die am Kaiserdamm wohnte, war David in einem Hinterhaus-Tonstudio im Wedding angekommen, und Natalie saß auf der Terrasse vom Café Kastanie und las sich verbissen durch die Lesermeinungen anderer Leute. Blöder Leute , fand sie, die es mit der Rechtschreibung nicht so genau nahmen und sich als Rezensenten aufspielten, als ob sich irgendwer für ihre Einschätzungen interessieren würde. Natalie trank Milchkaffee in kleinen Schlucken. Ihr Magen grummelte. Na ja, gestand sie sich ein, ich interessiere mich gerade dafür. Aber nur, weil … verachtenswert , unterbrach sie sich selbst. Wie erbärmlich war das nur? Sie starrte in die Kastanienbäume über sich, in denen Spatzen stritten.
Nun mal halblang, versuchte Natalie sich selbst in Schutz zu nehmen. Ich verschaffe mir lediglich einen allgemeinen Überblick (nicht mehr als eine Inhaltsangabe eigentlich) und habe ein Talent entwickelt, daraus etwas fundiert Klingendes entstehen zu lassen.
Aus »streckenweise ganz schön langweilig« zauberte Natalie »eigenwilliger Schreibstil«, aus »Geschwafel« machte sie »detailfreudig«, und aus »Richtig klasse! Ich habe das Buch verschlungen, weil es so spannend war« wurde »Brillant geschrieben. Ein Autor, der sich seiner Mittel sehr sicher ist«.
Manchmal stieß sie aber auch auf eine wirklich gut formulierte Rezension. Die schrieb sie dann geringfügig um, damit keiner merkte, dass sie eigentlich bloß … spickte.
Natalies Magen zog sich zusammen. Verachtenswert! Sie ließ den Kaffee stehen und bestellte Kamillentee. Das muss ein Ende haben, sagte sie sich und meinte nicht den Tee. Ich kann so nicht weitermachen.
Sie blickte von ihren Papieren auf. Gerade kam eine Kindergartengruppe vorbei. Die Kleinen trugen Buddeleimer und Plastikschaufeln, waren wahrscheinlich auf dem Weg zu einem der Spielplätze im Lietzenseepark und sangen lautstark:
»Wir sind die Kita Zwergenland
und können schon so allerhand!«
Natalie spürte, wie ihr schlagartig wieder übel wurde. Zwerge, überall Zwerge. Sie wurde von Zwergen verfolgt, wobei diese singende Version mit ihren bunten Buddelsachen keinen besonders gemeingefährlichen Eindruck machte. Aber trotzdem. Warum sah sie sich neuerdings von Zwergen umzingelt? Neulich hatte sie sich bei Reichelt am Kühlregal zu Tode erschrocken, als ihr Blick auf einen Zehnerpack »Fruchtzwerge« gefallen war. Das musste doch ein Zeichen sein. Doch wofür? Wofür bloß?
Natalie würde Theodor Silberstadt demnächst danach fragen. Ach, und verliebt war sie ja außerdem noch.
Mit schmerzvoll verzogenem Gesicht trank sie einen Schluck Kamillentee, verbrannte sich die Zunge und fragte sich, warum nichts im Leben von allein leichter wurde.
▶◀
»Ich sammle sieben Zauber-Reicheln, äh … Entschuldigung. Sieben Zau-ber-ei-cheln. Also noch mal: Ich sammle sieben Zauder…«
»Zaubereicheln.«
»Genau, sieben Zaubereicheln.«
Der Tonmeister stöhnte ins Mikrofon. »Dann sag dit doch ooch. Ick hab keene Lust, bis Weihnachten hierzuhocken.«
»Ich habe so was noch nie gemacht«, verteidigte sich David.
Auch nicht das beste Argument, um den Job zu bekommen, dachte er und begann zu schwitzen. »Kann man hier mal ein Fenster aufmachen?«
»Ditt is ’n Tonstudio?«, gab der Tonmeister zurück. Der fragende Unterton sollte Davids Bitte wohl ihrer geballten Lächerlichkeit preisgeben.
»Schon gut.« David holte Luft und schloss kurz die Augen. »Ich zammel sieben Sauberbeicheln …«
»Zaubereicheln, Zaubereicheln, Zaubereicheln … «
»Könnte ich gut eine gebrauchen«, versuchte es David auf die lustige Weise, doch der Tonmeister sah ihn voller Verachtung an. »Jetzt machste hinne, sonst fliegste raus!«
Blöde Prollbacke, dachte David und konzentrierte sich. »Ich sammele sieben Zaubereicheln und stecke sie in mein Beutelchen, so wahr ich Wendy der Waldschrat bin!« Er reckte das Kinn in die Höhe. »Bitte sehr.«
»Wendelin«, sagte der
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