Ein Hummer macht noch keinen Sommer
zusammenwohnt. Das tut man doch, wenn man … zusammen ist. Ihr seid ja nun auch nicht mehr die Jüngsten. Du könntest das Atelier behalten und dort tagsüber malen. Und abends gehst du gemütlich nach Hause an den Lietzensee, und Theodor kocht dir was Schönes.«
David unterdrückte einen Seufzer und begann auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen. Was sollte er sagen? Dass er gern mehrgleisig fuhr? Dass er Charlottenburg sterbenslangweilig fand? Dass er gern weiterhin über sein Leben bestimmen würde?
Er trank sein Limonadenglas leer, dann stand er auf. »Ich muss weiter.«
»Warte, ich bringe dich zur Tür.«
Auch Hertha erhob sich. Relativ flott, für eine so alte Frau, fand David. In einer Aufwallung von Zärtlichkeit streckte er beide Hände nach ihr aus. Sie wich zurück, doch es half nichts. Schon hatte David sie einen halben Meter in die Höhe gehoben, um sie vorsichtig an seine Brust zu drücken. Dort hing sie einen Augenblick, wie ein groteskes, schlaffes Püppchen. Dann löste sich der Satinpantoffel von ihrem linken Fuß, glitt zu Boden, und sie fing an zu zappeln. »Lass mich runter, verflixter Bengel!«
»Wiedersehen, Herthalein«, flüsterte er in ihr dauergewelltes Haar. Beinahe wäre ihm ein »Verzeih mir« entschlüpft. Irgendetwas tat ihm leid, doch er wusste nicht genau, was. »Ich komme sehr bald mit dem Bild wieder. Überleg dir schon mal, wo es hinsoll.« Er setzte sie neben dem Pantoffel wieder ab. »Und wenn du mit Theodor sprichst, dann …« – er räusperte sich – »… dann versuch doch mal herauszuhören, wie er zu mir … steht.«
Hertha strich sich die Frisur glatt, während sie zu ihm aufsah. Ihre Augen funkelten wütend. »Einen Teufel werde ich tun, mich in eure Angelegenheiten einzumischen.«
Irritiert ging David zur Tür, öffnete sie, trat auf den Hausflur hinaus, in dem es nach gebratenen Zwiebeln roch. Eigentlich ganz gut, fand David, denn er hatte Hunger. Mit nur einem Pantoffel an den nackten Füßen war ihm Hertha gefolgt. In diesem Augenblick begann ihr Telefon zu klingeln.
»Vielleicht suchst du dir ja einfach mal eine vernünftige Arbeit«, sagte sie. »Dann wirst du wissen, wie viel dir wirklich noch an Theodor liegt! Und jetzt entschuldige mich, ich muss ans Telefon!« Die Tür knallte hinter ihm zu, und im Treppenhaus ging gerade das Licht aus.
»Was soll das denn?«, murmelte David. Langsam stieg er die Stufen hinab. »Gluckenmutter.«
Er fühlte sich höchst unbehaglich, irgendwie ertappt.
So, als wäre er wieder acht.
▶◀
Wie erwartet, wachte Natalie am Morgen mit rasenden Kopfschmerzen auf. Sie blinzelte, doch das Tageslicht verursachte so starken Brechreiz, dass sie die Augen schnell wieder schloss. Stöhnend blieb sie liegen, versuchte weiterzuschlafen oder zumindest einen klaren Gedanken zu fassen. Weder das eine noch das andere wollte ihr gelingen. Sie hörte das Telefon klingeln und ihren Magen rumoren. Im Hausflur schrie ein Kind. Die Toilettenspülung von oben rauschte eine Ewigkeit. Fünf Mal fuhr die Feuerwehr mit Karacho durch die Schloßstraße. Sieben Mal hupten Autos. Dann landete eine Taube auf dem Fenstersims und machte so anzügliche Gurrgeräusche, dass Natalie entnervt die Augen aufriss. Schlagartig wurde ihr wieder übel, sie eilte ins Bad und übergab sich.
»Geschieht dir recht«, keuchte sie in die Kloschüssel. »Zu viel ist zu viel.«
Sie blieb dort hocken und starrte auf das weiße Porzellan. Erinnerungsfetzen zogen vorüber: Mittelalter, Weihrauch, Bratwurst. Natalie wusste, dass da noch etwas gewesen war, etwas, an das sie sich lieber nicht mehr erinnern wollte. Aber dann, mit dem nächsten Champagner-Met-Glühwein-Schwall, den ihr beleidigter Magen in die Höhe schießen ließ, fiel es ihr wieder ein: der Zwerg! Als wäre er ihrer allzu üppig blühenden Fantasie entschlüpft und hätte sich klammheimlich hier draußen materialisiert. Wo war er jetzt?
Natalie erhob sich stöhnend, blickte hinter sich und dann an sich hinab. Sie war ja noch immer angezogen! Da hatte sie sich gestern Nacht einfach sturzbetrunken ins Bett geworfen. Unmöglich. Wenn das nicht verachtenswert war.
Ihre Hände fuhren in die Jeanstaschen, irgendetwas drückte sie dort, und als sie wenig später sah, was sie zutage gefördert hatte, wusste sie nicht, ob sie lachen oder schreien sollte. Drei silberfarbene »Wunschmünzen aus dem Elfenland« lagen in ihrer Handfläche. »Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte sie.
Sie konnte sich
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