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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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gefallener Engel lag Tim in all dem Müll und schnarchte leise. Bei diesem Anblick schloss sich Davids drittes Auge.
    Und vorerst blieb alles, wie es war.
    ▶◀
    »Schließlich fallen die feindlichen Heerscharen mit Gebrüll und Säbelgerassel über die mittelalterliche Stadt her, legen alles in Schutt und Asche, und der Leser kann sich diesem detailverliebten Gemetzel über viele Seiten hinweg so richtig schön hingeben. Wer Beschreibungen von abgeschlagenen Köpfen und in Bäuche gestoßene Schwerter gern mag, der wird hier bestens bedient.« Natalie versuchte das Buch mit der linken Hand in die Höhe zu stemmen, aber es gelang ihr nur unter Zuhilfenahme der anderen Hand. Was für eine Papierverschwendung, dachte sie und lächelte betont munter in die Kamera.
    »Schnitt!«, rief jemand aus dem Hintergrund.
    Ihr Lächeln erstarb augenblicklich.
    Frau Rüttgers von der Produktion kam angestöckelt und sah sie strafend an. »Das geht so nicht!«
    Natalies Kopfschmerzen waren mit voller Wucht zurückgekehrt.
    Es war inzwischen acht Uhr, seit über zwei Stunden quälte sie sich hier im Fernsehstudio mit den Buchrezensionen herum. Zuerst hatte sie sich pausenlos versprochen, dann hatte sie immer wieder den Faden verloren und schließlich sogar die fünf Inhaltsangaben durcheinandergebracht. (»Als Anne feststellt, dass sie schwanger ist, fährt sie mit dem Zug nach Morton Pinkney, um es Henry, nein, Charles … Wie hieß der Kerl noch gleich? Und sie fährt nicht mit dem Zug nach Morton Pinkney, sondern mit dem Fahrrad nach Cuckfield. Glaube ich. Oder war das Bella in Magnolien im Nieselregen? «)
    »Was ist denn los mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?« Frau Rüttgers starrte ihr ins Gesicht.
    Vor Natalies Augen flimmerte es. Sie blinzelte. Entweder ich kann jetzt die Aura der Leute sehen, dachte sie, wobei mich wundern würde, dass die Rüttgers so etwas überhaupt besitzt, oder meine Migräne wächst sich aus.
    »Doch, doch«, beeilte sie sich zu sagen.
    Frau Rüttgers schaute streng. »Was Sie hier abliefern, ist unter aller Kanone.«
    »Ja, mag sein«, erwiderte Natalie. »Es ist nur so, dass ich die Auswahl der Titel nicht nachvollziehen kann. Haben wir keine mündigen Leser da draußen? Ist deren Anspruch an die Literatur wirklich so gering, dass …« Natalie hielt inne. Sie redete sich ja um Kopf und Kragen.
    Die Rüttgers machte schmale Augen. »Das Thema hatten wir bereits, Frau Schilling. Im Gegensatz zu Ihnen weiß ich ziemlich genau, wie der Büchermarkt funktioniert.«
    »In dieser Sendung ist noch niemals ein einziges gutes Buch vorgestellt worden«, sagte Natalie leise.
    »Das ist Ihre klägliche Meinung. Was gut ist und was nicht, entscheidet immer noch die Nachfrage.«
    »Sie meinen, Zahlen und Buchstaben sind das Gleiche?«
    »Ich bin nicht gewillt, mit Ihnen zu diskutieren, Frau Schilling. In der Büchershow wird das vorgestellt, was sich auch gut verkauft! Es geht ja schließlich auch um Einschaltquoten.«
    Natalie fühlte zu ihrem Entsetzen, dass ihre Augen feucht wurden. Sie senkte schnell den Kopf.
    Der Kameramann hustete. »Machen wir jetzt weiter?«, fragte er.
    »Für Ihren Job stehen die Leute bereits Schlange«, zischte die Rüttgers Natalie ins Gesicht, und dann klapperte sie auf ihren lächerlich hohen Absätzen davon.
    Knick um, betete Natalie. Knick jetzt sofort vor meinen Augen um und brich dir das Genick. Oder wenigstens einen Arm.
    Aber ihr Wunsch wurde nicht erhört, und in den darauffolgenden zwei Stunden gab sie sich alle Mühe, Bücher, die sie am liebsten in den nächsten Altpapier-Container geschmissen hätte, freundlich zu rezensieren.
    » Die Gemahlin des Kriegers machen Sie auch noch mal!«, erscholl die Stimme der Rüttgers durchs Mikrofon. »Das war ja viel zu negativ formuliert, mit den abgehackten Köpfen.«
    Ist die immer noch nicht nach Hause gegangen?, fragte sich Natalie, und dann pries sie Die Gemahlin des Kriegers als großen, großen Lesespaß, voller Spannungsbögen und aufregender Ereignisse. Sie berichtete ausführlich, wie tapfer die kleine Gemahlin allen Widrigkeiten des mittelalterlichen Lebens trotzt und wie sie sogar noch auf dem Scheiterhaufen zu ihrer großen Liebe steht … die natürlich in dem Augenblick, als schon die Flammen an ihren kleinen Füßen züngeln, zu ihrer Rettung heranprescht.
    Lächelnd schloss Natalie mit »Wirklich brillant geschrieben. Eine Autorin, die sich ihrer Mittel sehr bewusst ist«, hob den Schinken mit beiden Händen in

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