Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
Kommandos gekümmert und vor aller Welt diese unbeschwerte Leidenschaft ausgetobt hat. Vielleicht beschämt ihn auch, daß der große Coup gescheitert ist, daß es kein Entrinnen gibt aus diesem Kontrakt, der ihn wie alle seine Artgenossen seit undenklichen Zeiten an den Menschen bindet; daß auf so plötzliche Ausbruchsversuche erniedrigende und schmachvolle Ernüchterung folgt. Nun kuscht er hingestreckt auf dem weichen Boden, robbt auf dem Bauch seinem Herrn zu, widerstrebend und doch unterwürfig, schwenkt den buschigen Schwanz als Friedensfahne, zittert und hechelt, schielt empor in Erwartung einer Geste, die Vergebung signalisiert, wartet, daß der Herr mit den Fingern schnippt, Tschutora also erlaubt, aufzuspringen und sich mit den verdreckten Hundepfoten gegen seinen Bauch zu stemmen.
    »Siehst du, Jugend!« meint der Herr beiläufig, »immer endet es so, wenn man undiszipliniert, eigenwillig und unvernünftig handelt! … Jetzt kuschst du hier im Dreck und genierst dich! Beim Anblick eines lumpigen Stückchens Freiheit untreu werden, Übereinkunft und Befehle in den Wind schlagen, das kannst du! … Und dann mit ausgepumpter Lunge den Rückzug antreten, kleinlaut und ohnmächtig … Lohnt sich das? Du meinst, die Leidenschaft … Eine billige Sache, diese Leidenschaft! … Weißt du denn nicht, daß jedes Tier traurig ist danach? Bitte! … Hier hast du die Freiheit! … Freies Feld! … Warum stürmst du nicht davon? … Du bist nicht an der Kette, und ich werde dir nicht hinterherrennen! Bitte sehr, du kannst gehen, die Welt steht dir offen! … Dort drüben sind die Berge und Wälder, voll mit Wild … Warum läufst du nicht? Warum trottest du zurück, kriechst auf dem Bauch zu mir her, duldest, daß ich dich an die Kette lege? Warum gibst du dich mit dem Fraß zufrieden, den Theres dir im Napf hinschiebt, statt in Freiheit mit aller Passion Wild und Geflügel zu jagen? … Das ist dein ganzes Aufbegehren, mehr steckt nicht dahinter? … Weißt du denn nicht, daß der Kontrakt, den deine Spezies für einen Napf Suppe mit den Menschen geschlossen hat, unkündbar ist? Dummer Hund! Schau mich an, ich habe es schon erfahren. Ich könnte auch in den Zug steigen, könnte rebellieren, wenn ich nicht wüßte, was dieser Napf Suppe wert ist! … Oh, du verrückter, dummer Kerl. Kusch nur und schäm dich.«
    Natürlich versteht er jedes Wort, kuscht und schämt sich tatsächlich, aus tiefster Seele, aber mit wachem Blick; und er ist bereit, dem Buchstaben des Kontrakts entsprechend, im ersten versöhnlichen Augenblick aufzuspringen, brav um seinen Herrn herumzutoben, ihn zum Spielen aufzufordern, eine fröhliche und harmlose Jagd auf die Krähen zu beginnen, sich einzuschmeicheln, Lob einzuheimsen, jedenfalls die wenig ruhmreiche Erinnerung an die versuchte Rebellion unter allen Umständen vergessen zu machen.
    Alle ihre Ausflüge auf der großen Wiese fangen so an. Und stets ist die Versuchung stärker als die Erfahrung, es dauert Monate, bis der junge Tschutora begriffen hat, daß nicht die Kette, sondern Bande, die stärker sind als jede Leine oder Kette, ihn und sein Geschlecht an die Menschen fesseln. Todesfurcht und Opportunismus, aber auch andere, nicht sehr edle, eher niedrige Instinkte bewirken seine Bindung an Theres und den Freßnapf. Er schämt sich, doch seine Reue ist illoyal und unehrlich. Sollten wir nicht spazierengehen? schlägt er schwanzwedelnd vor und erhebt sich. Das macht zwar nicht soviel Spaß, aber es geht auch so … Die Kette ist nun bereits überflüssig, brav folgt er dem Pfiff seines Herrn, kommt zurück, scharwenzelt um ihn herum und gibt sich Mühe, die Zweisamkeit so nett wie möglich zu gestalten. Hier und da nascht er ein paar Grashalme, schnüffelt an weggeworfenem Zeitungspapier und scharrt sich stinkende Essensreste hervor, jagt den Krähen nach und bellt Spaziergängern hinterher, aber mehr aus Höflichkeit als aus Groll. Zwischendurch blinzelt er hinterlistig zum Herrn hinauf, der das natürlich registriert. Das Unaussprechliche, das zwischen ihnen ist, berührt im Verlauf des Spaziergangs keiner von beiden mehr.
    So wandeln sie auf dem schmalen, mit Koksschlacke bestreuten Weg, der die große Wiese durchquert, mehrmals hin und her. Dieser Weg ist vor allem nachmittags ein beliebter Treffpunkt der Christinenstädter Hundebesitzer. In reserviertem Ton werden hier Bekanntschaften geknüpft, weniger zwischen den Tieren, da die Damen und Herren ihre Schützlinge eifersüchtig

Weitere Kostenlose Bücher