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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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erhobenen Hauptes mit dem Hund seines Wegs.
    Sicher, gewisse Anzeichen hat er selbst schon wahrgenommen, jedoch mit keiner Seele darüber gesprochen, aber Zweifel nagen auch an seinem Herzen. Mit wem sollte er darüber reden? Die Dame hat ebenfalls Andeutungen gemacht, daß Tschutora bei Ausflügen mit ihr in die inneren Stadtbezirke ein gewisses Aufsehen erregt, daß sich die Stutzer, die dort herumlungern, die Dandys mit Monokel am Auge, grellgelben Handschuhen und Gamsbärten an den blaßgrünen Hüten, über ihren Hund auslassen. Bemerkungen dieser Sorte von Menschen nimmt der Herr erst gar nicht zur Kenntnis; doch pflegt die Dame den Hund seither nicht mehr in die Innenstadt mitzunehmen.
    Die Liebe schlägt ihre Opfer meist mit Kurzsichtigkeit, macht voreingenommen und blind; der Herr hat sich schon ein paarmal dabei ertappt, daß er Tschutoras Entwicklung argwöhnisch verfolgt, und er kramt in seinem Gedächtnis nach den Attributen, mit denen der Wärter im Schafspelz damals bei dem sonderbaren Geschäftsabschluß im Zoo den Hund gepriesen hat. Vom gedrungenen und kräftigen Körperbau hat der Mann gesprochen, von seiner noblen Kopfform … Der Herr schüttelt nachdenklich das Haupt, ihm schwant Böses. Er wird sich ja wohl noch auswachsen, denkt er hoffnungsvoll. Doch daß er Tschutora mit geschwellter Züchterbrust zu den nachmittäglichen Spaziergängen auf die Generalswiese führen würde, nein, davon kann keine Rede sein. Entweder man bekennt sich zu einer Kreatur oder nicht, denkt er. Ein Vorfall kommt ihm in den Sinn, die Erinnerung, daß er sich einmal vor langer Zeit aus Feigheit von einem Menschen trennte, weil die betreffende Person, eine nette Kameradin mit vielen angenehmen Eigenschaften, sich unpassend gekleidet und in Gesellschaft zu laut gesprochen hat … Im nachhinein schämt er sich dieser kleinmütigen Schwäche; doch seinerzeit, in den heiklen Wirrungen der frühen Jugend, störten und belasteten ihn solche Nebensächlichkeiten noch.
    Sollen wir es aussprechen? Den Herrn peinigt ein fürchterlicher Verdacht. Nämlich, daß Tschutora nie und absolut nichts mit einem Puli zu tun hatte. Nur ganz vage und unsichere Merkmale seines Äußeren erinnern an diese reizende und gelehrige Hunderasse, die in der Ungarischen Tiefebene das karge Leben der Pußtahirten teilt. Das ist eine schmerzliche und deprimierende Entdeckung. So als hätte jemand ein blondes Baby adoptiert, und nach einem halben Jahr stellt sich heraus, daß es ein Negerkind ist. Dann soll er halt ein Negerkind sein! – denkt der Herr trotzig und ignoriert die abschätzigen Blicke der betagten Experten. Wo kämen wir denn da hin! … Wenn schon Neger, dann auch richtig! … Haben wir nicht schon zu ganz anderen Dingen gestanden, auch nicht zur Freude dieser Herrschaften in feinem Loden … das wäre ja noch schöner! … Und er verscheucht die nagenden Zweifel.
    Ihr Spazierweg führt sie am Altersheim vorbei; Greise beiderlei Geschlechts sitzen da, aufgereiht auf den Straßenbänken dem Asyl gegenüber, und mustern die Vorbeikommenden mit trüben Blicken. Sie hocken da in ihrer Alters- und Armutsuniform, verbringen die Tage in eiserner Disziplin, harmlosem Eifer, in süßem, geschäftigem, auf die Minute pünktlich eingeteiltem Nichtstun. Immer wieder vergessen sie, die zahnlosen, faltigen Münder zu schließen, sie schlürfen und mümmeln an den dünn sickernden ersten Sonnenstrahlen.
    Mit gesenktem Kopf, aber gemessenen Schrittes geht der Herr durch das Spalier der Alten und nimmt mit halbem Ohr das kindische Gebrabbel wahr, das sie durch ihre Zahnlücken lispeln; denn diese Greise beiderlei Geschlechts pflegen bei schönem Wetter hier vor dem Altersheim ein reges Gesellschaftsleben. Sie brauchen zwischen den beiden »Lebensformen« des letzten Augenblicks keinen künstlichen Ersatz wie das Kartenspiel, zumal sie die Formen des Daseins nicht mehr in der Verschiedenheit wechselnder Produktionsformen erleben, sondern – schlicht, aber nicht ohne gehöriges Pathos gesagt – als Übergang zwischen den letzten Minuten des Lebens und den ersten des Todes.
    Die alten Menschen kleiden sich seltsam adrett, und es ist keineswegs frivol gemeint, wenn wir im Zusammenhang mit ihrer Kleidung in dieser sonnigen Jahreszeit von Frühjahrstoiletten sprechen. Dem Herrn fallen die neuen Kopf- und Schultertücher auf, frische Flicken an Röcken und Hosen, dunkelblaue Baskenmützen, flott aufs Ohr gedrückt – denn selbst das Elend im Greisenalter

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