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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Antwort mehr. Er dreht sich leicht zur Seite, senkt scheu und verlegen den Kopf, wartet, bis der Sturm sich gelegt hat, der Peiniger und die Pein, die ihm Gott in seinem unerforschlichen Walten auferlegt hat, vorüber sind. Er schweigt also und neigt das Haupt, als wäre er ins Gebet vertieft. Doch er weicht auch nicht, steht gebannt am selben Fleck, schaut auf den Auswurf, den Zsombolya ihm vor die Füße gespuckt hat. Es gab eine Zeit, damals in der beginnenden, noch etwas gezierten Phase des Hasses, als sie in der lüsternen Erwartung des kommenden Streits noch neckisch miteinander stichelten. Doch diese Zeit ist längst Geschichte; sie befinden sich jetzt in der heißen, stummen Endphase der Leidenschaft. Herr Telkes erwähnt nicht einmal mehr, daß seine Tafeln unter der persönlichen Schirmherrschaft des Hausbesitzers stehen, dank Tschutoras herzensgutem Herrn, der sich in der Tat schon mehrmals erfolgreich für das Anliegen des Herrn Telkes eingesetzt hat. »Die Tafeln bleiben, wo sie sind«, könnte er also erwidern, »Gott und der Hausherr sind auf meiner Seite.«
    Aber das hat er schon so oft gesagt, leise, mit gesenktem Blick, und auch Zsombolya ist längst klar geworden, daß bestenfalls eine Naturkatastrophe oder eine ganz neue Weltordnung die Texttafeln von der Hauswand fegen könnte. Im Grunde seines Herzens rechnet er wahrscheinlich gar nicht mehr damit … Er sagt es auch nur, weil der Wunsch stärker ist als die Einsicht, das Begehren, der Zwang, Herrn Telkes weh zu tun, ihn zu demütigen. Wie einst Moses mit den Gesetzestafeln vor den beglückten Juden, so steht der Tischler jetzt vor seinen Tafeln, auf die er die Gebote des sauberen Erdenwandels und die göttliche Wahrheit geschrieben hat. Zsombolya starrt eine Weile vor sich hin, wieder fehlen ihm die Worte, wilde Assoziationen quälen ihn, er sucht nach einer abschließenden Antwort, die alle Zusammenhänge zu erhellen vermag, die seinen Zorneskrampf löst, damit er seines Weges gehen kann. Sein Gesicht mit der niedrigen Stirn verrät schmerzliche Verwirrung, in seiner Gedankenwelt müssen sich die Bilder und Ideen jagen, er will das Unbezwingbare niederringen. »Der Hausherr ist ein Scheißkerl«, sagt er dann leise vor sich hin, fast schon abwesend. Und als hätte er den Krampf überwunden, rückt er mit der Schulter erleichtert den übergeworfenen Mantel zurecht und eilt fast schon gutgelaunt zu seiner Werkstatt; von der Ecke blickt er mit funkelndem, hastigem Blick noch einmal zurück; man wäre kaum verwundert, wenn er die Finger an den Mund führen und Herrn Telkes eine Kußhand zuwerfen würde.
    Der Hausbesorger leidet, leidet an allem, und die Begegnungen mit Herrn Telkes enden nicht immer so gelöst und befreiend. Dadurch, daß er eine ganze Gedankenverbindung so kurz und bündig zum Ausdruck gebracht hat, löst sich in Zsombolyas Seele noch nicht die verdrängte Unzufriedenheit, die in seiner Stimme, seinem Gang und auch im wirren Flimmern seiner hilfesuchenden Augen liegt. Gelegentlich erinnert er wirklich, um diesen überstrapazierten Vergleich einmal zu bemühen, an ein gehetztes Wild, das von der Meute zähnefletschender, hundeköpfiger Furien verfolgt wird.
    Warum zum Beispiel zürnt er den Kondukteuren, die am Ostbahnhof Dienst tun? Und wie er ihnen zürnt. Einer ihm bekannten Dame, die zum Plattensee reisen wollte, gab er den Rat: »Gnädige Frau sollten lieber vom Südbahnhof abreisen als vom Ostbahnhof«, und er fuhr mit angsterfüllter Stimme in leidendem, gequältem Ton fort: »Dort sind die Kondukteure derartig brutal!« Woher weiß er das? Es bleibt im Dunkel. Mit Sorge beobachtet Tschutoras Herr die Gemütsverfassung und das Seelenleben der zwei Handwerker, sucht beide in ihrer Werkstatt auf, ist bemüht, Klarheit in die störrischen Vorstellungsbilder zu bringen, die Zsombolya in Form von willkürlichen Gedankenverbindungen quälen, und die Verdächtigungen zurechtzurücken; aber er hütet sich, den leidenschaftlichen Zorn zu dämpfen, der die Gemüter beider Kontrahenten mit so befriedigender, ja beseligender Innigkeit erfüllt. Er weiß aus Erfahrung, daß eine so tiefe Leidenschaft bisweilen sehr fruchtbar und sogar lebensverlängernd wirken kann.
    Das also wäre das Souterrain. Sollen wir uns noch weiter, ein, zwei Stockwerke höher, wagen in dem nach Sauerkraut riechenden und aufgrund von Rohrschäden ewig tropfenden, dichtbevölkerten Budaer Mietshaus, um unter den Wesen Umschau zu halten, die Tschutoras große

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