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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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steifen Hut und der fortschrittlichen Gesinnung, der »den Laugenstein in Buda eingeführt« hat, einmal mit seiner Gattin ins schöne Florenz gereist und mit vielen nützlichen Erfahrungen heimgekehrt ist … aber das ist vielleicht schon ein Roman für sich oder sprengt in seinen unübersichtlichen Verästelungen sogar den Rahmen der Literatur.
    Nein, kehren wir in die Wohnung zurück, in diesen begrenzten Raum, dessen Abmessungen wir kennen; das wogende Wellenspiel draußen in der Welt verursacht manchmal einen regelrechten Schwindel. Bleiben wir also auf der kleinen Insel, die uns vertraut ist und auf der wir über die Natur der Erscheinungen im großen und ganzen Klarheit gewonnen haben. Besonders, wenn es draußen im Leben so stürmisch zugeht; Tschutoras Herr kann in diesen Jahren zum Beispiel nicht ohne Rührung an einen sehr alten Berliner Bekannten denken, der nach dem Krieg seine Wohnung in einer Berliner Vorstadt nie mehr ohne Kompaß verlassen wollte, er steckte ihn vorsichtig in die Westentasche, bevor er auf die Straße trat … Bleiben wir in Ermangelung eines Kompasses auf besagter Insel. Für einen Augenblick taucht aus dieser Zeit auch noch Mr. Bloch auf, zweimal pro Woche erscheint er, zwei Meter groß, kahl, arm und katholisch; in der Tür stehend, beugt er den Kopf vor wie ein trauriges altes Kamel und fragt Tschutora wie im Lesebuch: »How are you?«, um sich die Frage sogleich selbst zu beantworten: »I’m quite well, thank you.« Er ist sehr arm und sehr alt, seit Jahrzehnten bummelt er durch die Welt, und auch sonst wirkt er ganz wie Phileas Fock. Geld bedeutet ihm nichts, und obwohl Engländer, ist er katholisch; sein einziges Lebensziel besteht darin, fern der Heimat in fremden und barbarischen Städten die Eingeborenen mit dem beispielhaften Familienleben eines englischen Ehepaars bekannt zu machen, nämlich mit Mr. Wood und seiner Frau, Mrs. Wood, sowie deren Kindern Emily, Mary, John und Henry. »A nice family!« und dazu verdammt anständig! Mr. Wood ist arm, im Gegensatz zu Mrs. Wood, die reich ist, die Kinder sind folgsam, Mr. Wood ist stärker als sein Sohn John, doch jünger als Mr. Smith, der kürzlich bei ihnen zu Besuch war und sich im Wohnzimmer in einen Armstuhl setzte, der aus Holz gemacht ist, und er lobte ihren warmen Ofen, der aus Nickel, Eisen und Stahl besteht, im Gegensatz zu Mr. Woods Mantel, der aus Stoff gefertigt wurde. Der Herr gäbe etwas dafür, wenn er es nur ein einziges Mal über sich brächte, Mr. Bloch zu fragen, ob Mrs. Wood ihren Mann betrügt … Aber er wagt diese Frage nicht zu stellen, und Mr. Bloch wäre eine solche Indiskretion auch niemals zu entlocken. Mr. Blochs Charakter schließt jede Annahme aus, er würde von einer englischen Familie berichten, in der so etwas vorkommen könnte; wenn es das überhaupt gibt, was stark bezweifelt werden muß, denn Mrs. Wood hat zwei Arme, zwei Augen, zwei Ohren, zehn Finger und zehn Zehen, aber sonst hat sie nichts, zumindest ist Mr. Bloch nichts weiter bekannt. Emily und Mary gehen manchmal spazieren, während John und Henry daheim ihre Hausaufgaben machen; Mr. Wood ist im Geschäftsleben tätig, doch am Abend liest er die Zeitung. Und das geht seit Jahren so, gelegentlich schalten die Woods das elektrische Licht ein, und gelegentlich knipsen sie es wieder aus, ein andermal stellen sie fest: »The table is bigger than the chair« – aber diese Entdeckung gilt schon als kleine Sensation, sowohl bei den Woods wie auch im Leben von Mr. Bloch. Für Tschutora ist Mr. Bloch ein Leckerbissen, weil er riecht. Man weiß nicht genau, was für einen Geruch er an sich hat. Vermutlich einen englischen, alten und puritanischen, jedenfalls findet Tschutora besonderen Genuß an Mr. Blochs Hosenbeinen und Rockzipfeln, die aus Stoff bestehen, ganz im Gegensatz zum Tischtuch aus Leinen und dem Aschenbecher, der aus Messing ist. Man kann sich keine aufmerksamere Miene vorstellen, als Tschutora sie aufsetzt, wenn Mr. Bloch nach reiflicher Überlegung zum Beispiel folgende von scharfer Beobachtungsgabe zeugende, überraschende Frage stellt: »The table is bigger than the chair, isn’t it?« Tschutora liest diese Worte schwanzwedelnd und strahlend vor Zufriedenheit von Mr. Blochs Lippen, zeigt seine Zähne und lacht, so sehr gefällt ihm, daß der Tisch größer ist als der Stuhl und die Melange, man sollte es nicht glauben, aus Milch, Zucker und Kaffee gemischt wird. Armer, guter, alter

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