reinzuziehen, was mich erstaunlicherweise wieder ein wenig ins Lot brachte.
Schließlich setzte mich Regg vor meiner Wohnung ab. Ich kochte noch mehr Ketamin ein und war stundenlang dicht. Wie stark auch immer der euphorische Rauschzustand seit meiner Entlassung aus dem Gefängnis gewesen war, irgendwann war er vorbei und ich stürzte heftig ab. Kurz nach Mitternacht schickte ich einem meiner Kumpels von der Highschool, Abdalla Zarroug, eine E-Mail, die ich in Kopie natürlich auch über den gesamten Radikal-E-Mail-Verteiler in Umlauf brachte.
Von:
[email protected] Betreff: eine Kugel im Kopf
An: [zensiert]
Abdalla,
ich durchlebe den schlimmsten Schmerz, den ich je empfunden habe. Ich kann meine Mutter weinen hören. Das ist so furchtbar. Bitte nimm das in die vierte Dimension. In Liebe…
Steve
Mein Gehirn war so durcheinander, dass ich überzeugt war, Abdalla sei jener Engel, der über eine besondere Macht verfügte und in anderen Dimensionen agierte. Ich war kurz vor dem psychischen Zusammenbruch. Wenige Minuten vor neun Uhr am Donnerstagmorgen schickte ich eine E-Mail raus, in der in der Betreff-Zeile »Babyyyyyyyyyyyyyys machen« stand und im Textteil nur noch » Essssssssssssssppppppppppppppeeeeeeeeeeeeeeeeesssssssssss,,,,,wsssspppppppppppppppppppppppppppppppppppkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkkjjjjjjjjjjjjjjjyaknnoooooooooo« zu lesen war.
Der Drogenrausch hielt den ganzen Donnerstag über an, bis ich schließlich für mindestens 24 Stunden weggetreten war. Irgendwann in den frühen Morgenstunden des Samstags muss ich aufgewacht sein, denn um 4.20 Uhr schrieb ich eine E-Mail, die mit den Zeilen beginnt: »Darüber, Selbstmord zu begehen, habe ich bislang noch nie ernsthaft nachgedacht, doch … während der letzten Tage habe ich geistig mal etwas tiefer geschürft. All meine Überlegungen haben mich zu der Erkenntnis geführt, dass der Tod doch eigentlich nur ein ›Garderobenwechsel‹ ist, und wenn das der Fall ist, wo liegt dann der Unterschied?« Dieser E-Mail sind als Anhang YouTube-Clips beigefügt, die ich als »Früchte meines geistigen Forschens« bezeichnete. Und in einer gesonderten Bemerkung an Papa und Cindy schrieb ich am Ende derselben E-Mail:
Wenn ihr euch die folgenden Clips anschaut, lasst dem Unbehagen, das euch eure zwecklose Sorge um mich bereitet, ruhig freien Lauf, und lasst es mich einfach wissen. Ich werde mich der Belästigung einfach entziehen. Ich bin nicht das, was man als » kaputt « bezeichnet – IHR SEID ES. Ich kann akzeptieren, was ich nicht ändern kann, und so, wie ich Mamas Haus nach ihrem Aneurysma verlassen und mich aufgemacht habe, um SIE stolz zu machen, werde ich euch und eure Art, nichts Gutes an der ganzen Scheiße zu erkennen und euer Leben stattdessen mit Sorge und Furcht zu verschwenden, verdammt noch mal hinter mir lassen. Ich lebe nicht in Angst, und das meine ich sehr, sehr ernst.
Ich habe damit aufgehört, außer Fisch noch irgendein Fleisch zu essen oder Lederkleidung zu tragen (ebenso wie Brittany), ich habe mit Brittany daran gearbeitet, eine gesunde Beziehung zu ihr und ihrer Familie aufzubauen, bin in meiner Karriere äußerst professionell, und wenn ihr, Leute, darin nichts Gutes erkennen könnt, DANN WERDE ICH ES, VERDAMMT NOCH MAL, ENDLICH AUFGEBEN, EUCH STOLZ MACHEN ZU WOLLEN. Bitte widmet den angehängten Videoclips von YouTube ALLERHÖCHSTE Aufmerksamkeit. Gänzlich ungeteilte Aufmerksamkeit ... und dann macht euch mal ein paar ernsthafte Gedanken dazu: Ihr hättet gestern sehr, sehr leicht einen Sohn/Bruder verlieren können.
Die Clips, die ich mitgeschickt hatte, waren ziemlich abgefahrener Mist, doch wenn ich sie mir jetzt wieder anschaue, dann entdecke ich darin manches, das wirklich an den Kernthemen kratzte, die mich damals zerrissen.
»Du wirst sterben. Und niemand wird sich an dich erinnern« – mit diesen Worten fasste es dieser polnische Philosoph und Soziologe namens Zygmunt Bauman in einem Clip mit dem Titel »Wie man den Tod überlebt« zusammen. Später, im gleichen Clip, formuliert er ein tiefes Rätsel, mit dem ich mich schon als Teenager auseinandergesetzt habe und das mir, als ich Mama sterben sah, nur noch beunruhigender erschien: »Wie können wir unserem irdischen Leben irgendeine Bedeutung verleihen, wenn wir doch wissen, dass letztendlich alles vergeblich ist?« Ich hatte gedacht, all mein Videofilmmaterial könnte mein unsterbliches Erbe sein, ich hatte gedacht, der Ruhm könnte