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Ein Jahr – ein Leben

Ein Jahr – ein Leben

Titel: Ein Jahr – ein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Berben , Christoph Amend
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nicht der Inhalte wegen da ist, sondern meinetwegen. Einfach um zu sehen: Wie alt, wie jung, wie dick, wie dünn, wie klein, wie groß, wie schön, wie hässlich ist sie denn nun wirklich? Aber nachdem ich mit der Lesung begonnen habe, merke ich, wie diese Fragen keinen Raum mehr haben.
    Sie mussten sich erst damit abfinden, dass das Publikum andere Interessen hat, wenn es zu einer Lesung von Ihnen kommt. Heißt das, anfangs …
    … fand ich es richtig unanständig, ja. Ich kenne die Mechanismen in meiner Branche, ich weiß um all das Marktschreierische, das eingesetzt wird, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich hatte Schwierigkeiten, das mit einem ernsthaften Thema in Verbindung zu bringen. Deshalb habe ich zunächst auch gezögert, als mir Freunde solche Lesungen vorgeschlagen haben. Dir hören die Leute zu, haben sie gesagt, du kannst sie erreichen. Dann habe ich es ausprobiert, und ich musste den Freunden recht geben. So richtig anständig finde ich es heute übrigens noch immer nicht. Aber es ist ein legitimer Trick.
    Vor einigen Tagen waren Sie als Gast eingeladen bei einem Festakt des Jüdischen Museums in Berlin, das 2001 eröffnet wurde.
    Ich hatte damals, noch vor der Eröffnung, das große Privileg, von Michael Blumenthal, dem Direktor des Museums, empfangen zu werden. Ich durfte dort Interviews geben zu einem Hörbuch, das ich für die »Brigitte-Edition« aufgenommen hatte: »Und da kam Frau Kugelmann« von Minka Pradelski. Die Autorin ist eigentlich Soziologin, die sich mit der zweiten Generation der Holocaust-Überlebenden auseinandersetzt, die von ihren Eltern nie Antworten bekommen haben. Darüber hat sie einen wunderbaren Roman verfasst.
    Minka Pradelskis Eltern sind beide dem Holocaust entkommen, ihr Vater als Überlebender des Ghetto Łódź.
    Diese Generation muss mit dem großen Paket von Schuldgefühlen des Überlebens leben und lernen, damit umzugehen. Das Buch ist so stark, weil darin Geschichten erzählt werden. Wenn man Geschichten über Menschen erzählt, gibt man ihnen das Leben zurück. Man erinnert sich an sie. Als ich im Jüdischen Museum stand, dachte ich übrigens: Ich würde das Museum leer lassen.
    Warum?
    Wie Daniel Libeskind den Bau konzipiert hat, wie er die einzelnen Räume entworfen hat: Sie selbst sind die Erinnerung. Jede Schräge, das Enge, Räume ohne Fenster, der Garten, in dem du nicht richtig stehen kannst, in dem du immer schwankst, stolperst, das alles ist eine unglaubliche architektonische Leistung. Aber mit der Ausstellung über 2000  Jahre deutsch-jüdisches Leben war ich dann doch überzeugt, dass es richtig ist, das Haus zu füllen. Für viele Menschen in Deutschland ist das Judentum immer noch ausschließlich besetzt durch den Holocaust, und niemand redet über all die Jahrhunderte zuvor. Deshalb ist diese Ausstellung so wichtig.
    Sie sind eine Freundin des Hauses.
    Ja, ich habe viele Lesungen dort gemacht. Ich war auch beim letzten Konzert von Gad Granach, dem Sohn des Schauspielers Alexander Granach, dessen Autobiographie »Da geht ein Mensch« ich bestimmt vierzigmal auf der Bühne gelesen habe.
    Granach war ein Kind jüdischer Bauern aus Galizien, heute in der Ukraine, ein berühmter Schauspieler seiner Zeit in Deutschland, ein Schüler von Max Reinhardt, zuerst am Theater erfolgreich, später im Film, unter anderem kennt man ihn aus Murnaus »Nosferatu« …
    … er musste 1938 vor den Nazis fliehen und ist in die USA gegangen. Er hat es bis nach Hollywood geschafft. Seinen Sohn Gad Granach habe ich in Jerusalem kennengelernt, bei einer Lesung »Verbrannte Dichter«, an der ich teilgenommen hatte mit Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger …
    … einer jüdischen Dichterin aus der Bukowina, die von den Nazis verfolgt wurde und im Alter von 18  Jahren in einem Arbeitslager starb.
    Es waren an dem Abend auch zwei Klassenkameradinnen von Selma dort. Gott sei Dank wusste ich das nicht vorher, sonst wäre ich zu nervös gewesen. Sie sind erst nach der Lesung zu mir gekommen und haben gar nicht trauernd über Selma geredet, sondern sich gefreut. Es sei so schön, dass ihre Selma in meiner Stimme weiterlebe. Ich habe den Mund gar nicht aufbekommen vor lauter Aufregung, aber die beiden waren einfach nur froh, sagten sie, dass der Stab weitergereicht werde. An diesem Abend in Jerusalem habe ich also Gad kennengelernt, und er hat, was auch wirklich jeder mitbekommen hat, sich in mich verliebt. Was ich wunderbar fand. Er war damals um die 90  Jahre alt.
    Und Sie

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