Ein Jahr – ein Leben
waren bei seinem Abend im Jüdischen Museum in Berlin.
Ja, es wurde ein Abend für ihn ausgerichtet, er wurde nach Berlin eingeladen, um aus seinen Memoiren »Heimatlos« zu lesen. Für eine Klavierbegleitung gab es kein Geld, und da habe ich das Klavier gesponsert.
Wie haben Sie es eigentlich gemerkt, dass der neunzigjährige Gad Granach sich in Sie verliebt hat?
Das war nicht schwer, er hat es mir ganz direkt gesagt, und zwar recht schnell. »Es sind die Augen«, hat er gesagt, »in diese Augen lasse ich mich fallen.« Henryk M. Broder, dessen Frau die Autobiographien beider Granachs in Deutschland verlegt hat, hatte uns einander vorgestellt. Gad hat mir nicht nur gesagt, er sei verliebt in mich, er hat auch meine Hand einfach nicht mehr losgelassen. Und er hat mich später unglaublich oft aus Israel angerufen. »Ich muss deine Stimme hören«, hat er dann gesagt, »lass uns reden, lass uns reden.« Er rief gerne mal nachts an, mal um zwölf, mal um ein Uhr. Gad konnte nicht gut schlafen, wie ich, das passte also. »Wie geht’s dir, schönes Mädele?« An dem Abend im Jüdischen Museum hat er mir auf der Bühne einen Heiratsantrag gemacht.
Was haben Sie geantwortet?
Dass ich als Kind der 68 er mit dem Begriff der Ehe nicht viel anfangen kann. Über alles andere kann man mit mir reden. Ich glaube, dass ich nicht sein einziger Schwarm war. Es war eher so, dass er alle Frauen verehrt hat. Er war ein großer Charmeur. Anfang diesen Jahres ist er in Jerusalem gestorben.
Wir sind auf ihn zu sprechen gekommen durch den Festakt im Jüdischen Museum vor ein paar Tagen.
Der Abend hat mit einem Konzert begonnen, Daniel Barenboim hat Bruckner dirigiert, in der Philharmonie. Dieser Mann ist so ausgebucht, dass der Termin der Feier sich nach seinem Terminkalender richten musste, nicht nach dem Kalender von Angela Merkel …
… der an dem Abend der »Preis für Verständigung und Toleranz« verliehen wurde.
Ich habe damals ihre Rede gehört, die sie in der Knesset gehalten hat, und ich war dabei, als sie an der Hebräischen Universität in Jerusalem die Ehrendoktorwürde bekam. Beide Male hat sie Klartext gesprochen.
Inwiefern Klartext?
Dass sie sich verantwortlich fühlt gegenüber Israel, verantwortlich gegenüber der Geschichte und vor allem verantwortlich in der Erinnerung der Geschichte. Natürlich bin ich ohnehin dafür empfänglich, aber sie hat das so kompromisslos ausgedrückt. Deshalb unterstelle ich ihr auch kein Kalkül, wenn sie ihren Terminkalender nach dem von Barenboim ausrichtet, um den Preis entgegenzunehmen.
Sie stehen der Politik von Angela Merkel eigentlich nicht nahe.
Ich bin gespalten, wobei ich manchmal das Gefühl habe, es gibt Entscheidungen, da steht sie der anderen Volkspartei näher als ihrer eigenen. Die Atomenergiepolitik, der Wechsel nach Fukushima in diesem Jahr. Sie können sie als Wendehals bezeichnen, Sie können sie aber genauso als Politikerin betrachten, die unaufgeregt versucht, sich neuen Situationen zu stellen, sie neu zu begreifen und zu bewerten. Mir geht es ohnehin zunehmend so, dass ich mir abschließende Urteile über Politiker nicht so schnell zutraue.
Woran liegt das?
Unsere Welt dreht und verändert sich in einer derartigen Geschwindigkeit, ständig neue Ereignisse, neue Erkenntnisse, die alles auf den Kopf stellen, was man bislang dachte, dass ich viel eher Angst habe: Hoffentlich verlieren sich die Parteien nicht in irgendwelchen rechthaberischen Kleinkriegen. Sie sollten ihre Aufmerksamkeit voll und ganz gemeinsam auf unsere globalisierte Welt richten. Ich denke heute nicht mehr selbstverständlich: Natürlich werde ich die SPD unterstützen, komme, was wolle. Auch wenn mir das, was Steinbrück und Steinmeier vermitteln, nahe ist. Das politische Geschäft hat sich verkompliziert, und ich erkenne da gelegentlich ähnliche Probleme wie in meiner kleinen Welt. Die Korrektur ist ja gar nicht mehr möglich. Der Moment der Wahrheit ist der Moment des Gesprächs. Schon das erste Gespräch, das stattfindet, muss gefiltert sein. Das ist beunruhigend. Wie sollen in dieser Welt vertrauensvolle Gespräche stattfinden? Die Medien spielen auch ihre Rolle, die sich auf jeden Halbsatz stürzen – und die natürlich auch selbst unter Druck stehen. Die Atemlosigkeit, die mir manchmal zugeschrieben wurde …
… ich habe gelesen, dass es Menschen in Ihrem Umfeld gibt, die Sie »Iris Atemlos« nennen …
… das stimmt wahrscheinlich auch, aber wenn ich jetzt diese
Weitere Kostenlose Bücher