Ein Jahr – ein Leben
Mädchen haben jedenfalls Decken verteilt und Sie Rosinen.» – »Stimmt!«, sagt er.
Auf welche weiteren Gäste freuen Sie sich? Sie hatten Karl Lagerfeld eingeladen?
Als ich bei »Wetten, dass …?« zu Gast war, saß ich neben Karl auf der Couch, und da habe ich die Gelegenheit genutzt, ihn zu fragen. Wir haben nur noch keinen Termin gefunden.
Seit wann kennen Sie Karl Lagerfeld persönlich?
Seit 22 Jahren. Das weiß ich ziemlich genau, weil die Mauer gerade gefallen war, es war das alles beherrschende Thema. Karl wollte für die deutsche »Vogue« in Paris Deutsche fotografieren, die aus seiner Sicht etwas darstellten, und hatte auch mich ausgesucht. Ich kam gerade aus Tschechien, hatte dort einen Märchenfilm gedreht, den »Froschkönig«. Die Tschechen sind ja für ihre Märchenverfilmungen berühmt. Die Fotoaufnahmen sollten abends stattfinden, in den ehemaligen Privaträumen von Mademoiselle Coco …
… Chanel?
Richtig. Wir sollten uns alle um 17 Uhr dort einfinden. Ich war aufgeregt, er ist ja eine Institution. Wir werden einander vorgestellt, und Karl fragt, wo ich gerade herkomme. Aus Tschechien, antworte ich, um dort den »Froschkönig« zu drehen. »Das ist eine gute Idee, das ist eine gute Idee«, sagte er.
Eine gute Idee?
Der Frosch, er hatte sich sofort in die Idee mit dem Frosch verliebt. Und so wurden seine Leute losgeschickt mit dem Auftrag, den größten Stofftierfrosch, den es gibt, herbeizuschaffen. Mittlerweile war es 19 Uhr, Samstagabend in Paris, finde da mal einen lebensgroßen Stofftierfrosch! Der Abend setzte sich jedenfalls fort, ich wurde geschminkt, wir saßen zusammen in der Küche von Mademoiselle Coco und redeten. Karl wollte einfach alles über den Fall der Mauer wissen, wie ist das jetzt, wie gehen die Menschen damit um, worüber reden sie? Eine Frage nach der anderen, er hat mich richtig ausgesaugt. Wie wird sich das Leben verändern? Was passiert mit Berlin? Ich habe selten Menschen kennengelernt, die so interessiert an so vielem sind.
Dabei gibt es ja das Vorurteil gegenüber Modedesignern, sie lebten nur in ihrer eigenen Welt.
Auf ihn trifft das Gegenteil zu. Wir haben uns seitdem immer wieder gesehen, für verschiedene Fotosessions, und uns besser kennengelernt. Er ist ein kluger, gebildeter und sehr witziger Mann, der sein Image pflegt und sich deshalb auf seine Art unangreifbar macht. Man hört von ihm nichts Privates, das macht er sehr geschickt.
Zurück zu jenem Abend in Paris …
… wir haben nach Mitternacht angefangen zu fotografieren und haben uns eine Menge getraut. So viel zumindest, dass die damalige deutsche »Vogue«-Chefredakteurin unsere Lieblingsbilder nicht gedruckt hat. Das wirft er ihr übrigens immer wieder mal vor. Wir haben natürlich auch harmlosere Bilder gemacht, ich in Haute Couture, die dann auch veröffentlicht wurden. Zwei Fotos aus der Produktion hat mir Karl signiert, sie hängen bei mir zu Hause.
Würden Sie sagen, dass die Neugierde, die Karl Lagerfeld an jenem Abend in Paris gezeigt hat, die wirklich Großen ausmacht?
Ja, Ausnahmemenschen wie er saugen andere aus, positiv. Sie sind unendlich neugierig, voller Leidenschaft, unkonventionell, gierig, das gehört wohl dazu. Das Wort »vernünftig« würde mir bei ihnen jedenfalls nicht einfallen. Es ist ohnehin ein Wort, das vorherrscht, finden Sie nicht?
»Sei mal vernünftig«, heißt es gern.
Dabei entsteht doch so viel Interessantes aus Unvernunft. Wenn man spontan etwas ausprobiert. Wenn man sagt, ja, der vernünftige Weg wäre jetzt der, aber lass uns doch mal den unvernünftigen gehen. Das ist eine Form von Freiheit. Man kann gar nicht ungehorsam genug sein.
Karl Lagerfeld sagt das so ähnlich: Political Correctness sei schon richtig, aber langweilig dürfe es nicht werden.
Ich finde Menschen auch spannender, die sich was trauen, die nicht immer von allen geliebt werden wollen. Aber ich nehme mich da nicht aus: Ich möchte viel häufiger dieses Eingepackte, Abgesicherte, Risikolose abschütteln und ein bisschen Anarchie leben.
Würden Sie sagen, das Von-allen-geliebt-werden-Wollen hat allgemein zugenommen?
Vielleicht hat es das immer schon gegeben, aber heute haben wir mehr Öffentlichkeit, die das wahrnimmt und verbreitet. Und viele verbreiten es ja auch selbst durch die sozialen Netzwerke. Ich bin fassungslos, wenn ich mitbekomme, was Menschen über sich im Netz preisgeben. Mich gibt es! Das ist mein Leben! Ich meine das gar nicht zynisch, dahinter scheint
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