Ein Jahr – ein Leben
Traum?
Nein, bei den Dreharbeiten der »Krupps«. Ich kam morgens um halb sechs in die Maske, wir mussten früh anfangen, das Make-up dauerte lang. Ich habe Bertha Krupp als alte Frau gespielt, an diesem Tag sollte sie sterben. Ich war allein in der Maske, und plötzlich stand ich mir selbst gegenüber, aufgebahrt in einem Sarg. Es war eine lebensechte Puppe von mir.
Von der Sie nichts wussten?
Doch, doch, aber das war unerwartet in diesem Moment. Ich war wie erstarrt. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich wieder berappelt hatte. Ich lese weiter vor, ja?
Bitte.
»Ich habe den Tod schon früh in mein Leben gelassen. Heute weiß ich, dass es aus Wut geschah. Ich mag auch den Satz ›Der Tod gehört zum Leben‹ nicht. Das ist doch ein Widerspruch! Und sosehr ich Widersprüche in meinem Leben akzeptiere, beim Tod ist das anders, weil er für mich das Ende ist. Das Ende von allem. Ich glaube nicht, dass nach ihm noch etwas kommt. Ich bewundere Menschen, die das glauben können, die Halt und Orientierung darin finden, aber für mich markiert es das Nicht-mehr-dabei-sein-Dürfen. Und ich bin so gerne dabei. Entwicklungen nicht mehr mitzubekommen, technologische, medizinische, geistige; an der Welt nicht mehr teilnehmen zu können ist eine Vorstellung, die ich unerträglich finde. Ich bin 61 und was ich schon alles erleben durfte, finde ich überwältigend, medizinische Entwicklungen, soziale Verbesserungen, den Mauerbau, den Mauerfall, das Ende der Sowjetunion. Als junges Mädchen habe ich Friedhöfe gemiede …«
Davon haben Sie erzählt. Sie haben es nicht ausgehalten.
»Heute kann ich viel besser damit umgehen. Das liegt an einem Erlebnis, das ich in Südamerika hatte. Ich war dort auf einem Kinderfriedhof. Die Kinderfriedhöfe in Südamerika sind bunt und voller Leben. Angehörige sitzen an den Gräbern, auf denen Spielsachen liegen. Man picknickt dort und redet mit den Kindern. Ich mag diese Vorstellung, sie ist versöhnlich. Aber ich glaube trotzdem nicht an die christliche Vorstellung vom Jenseits oder an Wiedergeburt.«
Wie kamen Sie auf den Kinderfriedhof nach Südamerika?
Durch Hans Clarin, den mittlerweile verstorbenen Schauspieler, der »Pumuckl« seine Stimme gegeben hat. Ich hatte einmal eine Gastrolle in »Meister Eder und sein Pumuckl«, das war für Oliver, für ihn war Pumuckl der Held. Jahre später waren Hans Clarin und ich gemeinsam auf einem Kreuzfahrtschiff, auf dem wir einen Werbefilm drehten. Das Schiff fuhr nach Südamerika. Wir waren zu viert und bildeten eine kleine Reisegruppe. Die Passagiere vom Schiff waren ganz stolz und erzählten uns, sogar die Butter werde eingeflogen, der Käse und der Schinken, alles werde eingeflogen – höchstens das Obst käme von dort. Wir haben uns angeschaut: Aber man fährt doch in andere Länder, um Neues auszuprobieren?! Über die Bordlautsprecher wurde ständig durchgesagt, man solle an Land wirklich nur in die Lokale gehen, die der Veranstalter auf einer Karte angekreuzt habe.
Man spricht deutsch, wie Gerhard Polt sagen würde.
Das war für uns vier der Startschuss, um uns nicht daran zu halten. Jedes Mal, wenn wir irgendwo an Land gingen, haben wir uns als Erstes einen Taxifahrer geschnappt und ihn gebeten, uns an Orte zu fahren, zu denen die anderen Touristen nicht fahren. So kam es, dass wir zu einem Kinderfriedhof fuhren. Der Friedhof war geschmückt wie bei einem riesigen Kindergeburtstag, bunte Laternen, Lampions, Bücher, Teddybären. Es wurde gesungen, alte Frauen saßen zusammen, haben gestrickt und gelesen. Dieses Bild war für mich ein Einschnitt – seitdem kann ich wieder auf Friedhöfe gehen. Ich dachte, so ist es gut, so kann man mit dem Tod umgehen: über ihn reden. Da fallen mir Bücher ein. Neben dem Schlangenmantel würde ich noch 100 Bücher meines Lebens mit ins Grab nehmen.
100 Bücher? Haben Sie schon eine Liste zusammengestellt?
Es wären Bücher ganz unterschiedlicher Autoren: Arthur Koestler, Luis Buñuel, Esther Vilar, Marguerite Duras, Max Frisch …
… sein Fragebogen-Buch?
Auch das, ja! Und weiter: Françoise Sagan, Hemingway, Bukowski, Stieg Larsson, Elfriede Jelinek, Jean Améry, Stefan Zweig, Hubert Fichte oder Ludwig Fels. Er beschreibt in seinem Buch »Der Himmel war eine große Gegenwart« den Tod seiner Mutter beeindruckend nah. Oder Pascal Merciers »Nachtzug nach Lissabon«, das Buch widmet sich mit einer inspirierenden Tiefe der Stadt Lissabon und der Sprache. Das berührt mich, weil ich dort
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