Ein Jahr – ein Leben
genau beobachten, das ist es.« Das war der Ritterschlag. Jahre später, nach einem Opernabend in Berlin, war er in der französischen Botschaft mein Tischherr. Loriot war wunderbar, klug, tiefsinnig, ein Humorist und ein Humanist. Er hat seine Figuren nie verraten. Deshalb hat er uns alle mit uns selbst versöhnt.
Frau Berben, worauf freuen Sie sich, wenn Sie an das nächste Jahr denken?
Ich freue mich darauf zu wissen, dass ich nicht weiß, wie es wird. Auf die anstehende Arbeit und darauf, zwischendrin ein unvernünftiges Leben führen zu können. Ich hoffe, dass ich gesund bleibe und alle Lieben um mich herum. Ich hoffe, dass wir für die Finanzwelt ein paar Regeln aufstellen können, wo wir doch sonst in einer Welt voller Regeln leben. Und dass wir die Idee von Europa, die mir vor ein paar Jahren noch gar nicht so bewusst war, schützen. Wir sind fast 70 Jahre ohne Krieg, was für eine Stabilität wir haben, wie selbstverständlich wir das nehmen. Was das heißt, ist mir auch erst in letzter Zeit wirklich klargeworden. Es wirkt doch alles so wackelig und dünn. Das habe ich übrigens auch Peer Steinbrück gefragt: Wenn wir an die Ratingagenturen denken, wenn wir über die Möglichkeiten der Manipulation auf diesem Gebiet nachdenken, wer profitiert denn davon? Sagt Steinbrück: »Nur die.« Sage ich: »Gut. Aber auf lange Sicht stürzt doch ein ganzes System zusammen, eine Ordnung bricht zusammen, und davon profitieren doch auch die Finanzleute nicht mehr, oder?« Sagt er: »Ja, stimmt, die sagen sich, sie kaufen sich, bevor alles zusammenbricht, noch ein Weingut hier oder ein großes Stück Land dort.« Sage ich: »Aber ist diesen Leuten nicht klar, dass ihnen auch die schönsten Weingüter nichts bringen, wenn die ganze Welt auseinanderfällt? Oder gilt hier einfach nur die alte Weisheit: Gier frisst Hirn?« »Ja«, sagt er, »vermutlich ist das so.«
Deprimierend.
Ich glaube, dass jeder seine Schäfchen ins Trockene bringen möchte. Ich tue es auch. Ich jubele auch nicht bei der Vorstellung, dass es ohne Steuererhöhung wohl nicht funtionieren wird. Aber selbst der größte Egoist muss begreifen, dass die Probleme der anderen irgendwann zu seinen eigenen werden, wenn unser System auseinander bricht.
Eine Kellnerin klopft an die Schiebetür, betritt leise den Nebenraum des Einstein. »Noch einen Wunsch, Frau Berben?«, fragt sie, »alles gut?«
O ja, haben wir noch einen Moment Zeit? Gut, ich wüsste etwas, ja. Ich würde noch einen Kakao trinken.
»Mit Sahne?«, fragt die Kellnerin vorsichtig.
Aber ja, bitte!
Die Kellnerin verlässt den Raum.
Haben Sie schon gehört, das Borchardt wird im kommenden Jahr 20 , es ist eines Ihrer Stammrestaurants in Berlin, nicht?
Da bin ich seit 20 Jahren Stammgast. Als das Restaurant noch eine Baustelle war, hat uns Roland Mary, der Besitzer, einmal im Monat geöffnet, vorher gab es per Fax oder per Brief die Ankündigung, so hat er sich sein Stammpublikum erhalten. Da bin ich dann mit Gummistiefeln über Holzstege ins Restaurant, die feinen Schuhe hatte ich in der Tasche, die wurden im Restaurant angezogen.
Das Borchardt war anfangs oft leer, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Genau wie das legendäre Tantris in München auch, anfangs kam keiner, wie so oft in besonderen Restaurants. Ich habe einmal eine Filmszene im Tantris mit Henry Hübchen gedreht.
Die Kellnerin bringt die heiße Schokolade.
Ach, herrlich, es geht nichts über die heiße Schokolade hier im Café Einstein. Wissen Sie, das ist das Schöne am Filmen: Man kann sich manchmal Erinnerungen an Orte konservieren, indem man dort dreht. Mmh, meine Filme müsste ich eigentlich auch mit ins Grab nehmen, oder? Ach, vielleicht lieber doch nicht.
Warum nicht?
Ja, warum nicht? Vielleicht war der erste Impuls doch richtig: mitnehmen. Wird voll bei mir!
Frau Berben, vielen Dank, wir sehen uns im neuen Jahr.
»Ich würde am liebsten
Iris Zweifel heißen.«
Ende Februar. Die Berlinale ist gerade vorbei, wir sitzen wieder im Café Einstein, wieder im hinteren Zimmer. Iris Berben ist mit Paul gekommen, ihrem Jack Russell. Paul zieht die Aufmerksamkeit gleich am Anfang des Gesprächs auf sich.
Frau Berben, Sie kommen gerade aus Hamburg, wo Sie eine Lesung hatten mit dem Titel »Ich bin in Sehnsucht eingehüllt«.
Ja, da komme ich gerade her… Paul? Wo ist Paul? Paul! ( steht auf ) PAULCHEN! PAULINO ! Haben Sie gesehen, wo er hingelaufen ist?
Leider nein.
Warten Sie einen kleinen
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