Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
hinunter fliehen, in dem ihr zum Glück Frau
Storck wieder entgegenkam.
„Danke für Ihre Hilfe“, sagte sie. Ich musste Herrn Himmelheberschnell selbst umziehen, weil die
Pflegerinnen einen anderen Notfall betreuen. Heute ist richtig was los hier.“
Emily konnte noch nicht sprechen und merkte, wie ihr immer noch ein wenig die
Knie zitterten. Stumm deutete sie auf die Tür, hinter der der Koloss wieder
verschwunden war.
„Oh, Sie haben Bekanntschaft mit Ole Hicks gemacht?“
Emily nickte stumm.
„Er ist ein bisschen unfreundlich, aber im Grunde ein
herzensguter Kerl. Er hat früher bei der Polizei gearbeitet und bildet sich
jetzt ein, er sei ein Geheimagent. Ständig versucht er Kurzwellensender in
sein kleines Radio zu bekommen und Botschaften abzufangen, mit denen er die
Welt retten möchte. Aber halten Sie sich am Anfang etwas von ihm fern. Er muss
erst einmal verstehen, dass er Ihnen trauen kann. Wenn sie eine Weile hier
arbeiten, dürfte das dann kein Problem mehr sein.“ Sie waren wieder im Zimmer der Pflegedienstleiterin angekommen. Emily
sank auf den ersten Stuhl.
„Nun, möchten Sie den Job annehmen, Sie hatten ja das Glück,
heute Nachmittag einen kleinen Einblick in die tägliche Arbeit zu bekommen?“
Ja, wahrlich, Emily fühlte sich auch ganz beschenkt und
glücklich ... Am liebsten wäre sie rückwärts wieder aus dem
Pflegeheim gelaufen, aber sie zwang sich zu einem Lächeln. „Manches ist wohl
ein bisschen gewöhnungsdürftig am Anfang, aber ich würde es gerne versuchen.“
„Nur versuchen?“ Frau
Storck zog eine Augenbraue hoch, so dass sich Emily wie eine vorlaute
Erstklässlerin vorkam. „Das haben wir hier nicht so gerne. Wissen sie, wir
möchten nicht, dass unsere alten Damen und Herren ständig neue Gesichter
verarbeiten müssen, hier ist auch so schon genug Wechsel im normalen
Tagesbetrieb. Also möchten Sie nun den Job oder nicht?“
„Ja“, sagte sie angesichts ihres schwindenden Sparkontos und
der günstigen Arbeitszeiten, „ich nehmen den Job“. Doch sie beschloss, so
schnell wie möglich Stadtführerin zu werden, da würde sie vermutlich nicht
angebrüllt und musste kein Pipi aufwischen, aber natürlich Fragen beantworten,
fragt sich, was besser war.
Nachdem sie sich von Frau Storck verabschiedet hatte, die
ihr noch den Vertrag zur Durchsicht mitgab, vereinbarten sie ihren ersten
Dienstbeginn am übernächsten Wochenende, so dass Emily noch ein köstlich freies
Wochenende genießen konnte, was sie aus vollem Herzen tun würde.
Erleichtert trat sie wieder in die enge Plöck hinaus und
konnte gerade noch einem Fahrradfahrer ausweichen. Puh, das war ja anstrengend
gewesen. Vielleicht doch eher Babysitten? „Menschen sind Menschen“, zitierte
sie sich selbst, straffte den Rücken und sah sich selbst in einigen Monaten,
gereift an Seele und Geist durch die Arbeit im Altenheim, dem Leben ganz anders
entgegentreten. Sie schloss ihr altes, blaugetupftes Rad auf und fuhr
nachdenklich Richtung Schlossberg. Begann Sie bereits ihrem gemächlichen Leben
als Optikerin nachzutrauern?
Als sie an die letzten Szenen aus ihrem Optikerleben dachte,
bereute sie ihre Entscheidung allerdings nicht. Innerhalb kürzester Zeit hatte
ein Konflikt den anderen gejagt. Seit ihrer kleinen Auszeit in Heidelberg, die
ihr Chef Emily ganz schön verübelt hatte, lief nichts mehr in gewohnten Bahnen.
Sicher, sie hätte anrufen sollen und nicht einfach unentschuldigt drei Tage
fehlen, das war wirklich nicht ihr Stil. Aber er musste doch auch verstehen,
dass das eine absolute Ausnahmesituation gewesen war. Er hatte es aber
geschafft, ihr das Leben im Geschäft so richtig schwer zu machen. Er überwachte
ihr Verhalten mit seinen kleinen Schweinsäuglein, die er mit türkisfarbenen
Kontaktlinsen tarnte. Ihm blieb nicht der kleinste Fehler verborgen, seien es
kleine Versäumnisse beim formalen Eintrag in die handgeführten Listen, die er
so liebte, oder flapsige Bemerkungen, die ihr im Kundengespräch manchmal
entwischten, wenn sie gut drauf war: Immer maßregelte er sie – und das am
liebsten vor den Kunden. Nach wenigen Wochen hatte sie ihren Job hassen gelernt
und war zunehmend mit zusammengebissenen Zähnen zur Arbeit gegangen.
Triumphierend lächelnd führte sie sich ihr letztes Gespräch
noch einmal vor Augen. Gerade hatte er sie gebeten: „Frau Neumann, wären Sie so
lieb und würden mir noch einen Kaffee holen mit viel Milchschaum und Zucker
bitte.“
Da war sie ganz dicht vor ihm
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