Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
geben, er wäre der
Einzige, der Beschützer, auf den sie angewiesen wäre. Guter Kumpel, pah! Nie
mehr würde sie ihre Fahrradreifen selbst flicken und den Schrank mit der
Nachbarin in den dritten Stock tragen. Ab sofort würde sie auch ein hilfloses
Weibchen werden, das wäre doch gelacht! Und leidenschaftlich konnte sie auch
sein, aber sicher, zieht euch nur warm an!
Noch einmal warf sie
einen Blick auf das zerknitterte Stück Papier in ihrer Hand. Zehn Monate
müssten doch reichen, um von einem Kerl loszukommen, selbst wenn man so
anhänglich veranlagt ist wie ich, dachte sie und zerknüllte den Brief. Jetzt
hatte sie es eilig, wieder hinunter in die Stadt zu steigen. Unten angekommen,
überquerte sie das Wehr und schaute in der Mitte angelangt dem schäumenden
Wasser zu. Nun krampfte sich ihr Herz doch zusammen wie eine Faust, als sie den
Brief loslassen sollte, doch da hatte sie schon die Hand geöffnet und sah ihm
nach, wie er in einen Strudel geriet und schnell in die Tiefe gezogen wurde.
Das war’s dann wohl, dachte sie und wusste seltsamerweise, dass es stimmte. Klaus
war weg.
Ja, dachte Emily, wieder
in der Gegenwart angekommen, Klaus war weg, doch ihr Liebesleben war seitdem
definitiv noch nicht wieder in Fahrt gekommen – und das musste ja hier im romantischen
Heidelberg anders werden, oder nicht?
Emily geht ins Altenheim, eine Brille wurde
zertreten, der Cellist in der Rhein-Neckar-Zeitung und die ultimativ peinliche
Begegnung
Mittwochnachmittag nach dem Seminar: Das Erlernen der Welt. Neue Einsichten in die
Prozesse menschlicher Sozialisation und Enkultation , bei dem Emily
sich tatsächlich ahnungslos wie ein Baby vorkam, das die Welt neu erlernen
musste, hatte sie den Termin im Seniorenheim. Sie trat durch ein Tor und war
überrascht von dem grünen Innenhof, in dem ganz hinten sogar eine Vogelvoliere
zu stehen schien, zumindest hörte sie das Gezwitscher von Wellensittichen und
Kanarienvögeln. Lächelnd erinnerte sie sich an die giftgrünen kleinen
Papageien.
Schon im Aufzug roch sie
diesen feinen Geruch nach Alter und Krankheit, ein wenig muffig, ein bisschen
verstaubt. Er war ihr nicht unangenehm, denn er erinnerte sie an die letzte
Zeit, als sie regelmäßig ihre Großmutter, die Mutter ihres Vaters, im Altenheim
besucht hatte. Im zweiten Stock fragte sie nach der Pflegedienstleiterin Frau
Storck und wurde in einen Raum geführt, in dem es gut gepflegte Topfpflanzen
und ebenso vor bildlich geführte
Aktenordnerreihen gab. Frau Storck, eine gedrungen wirkende Frau undefinierbaren Alters in einer
weißen Bluse, die so durch eine Brosche zusammengehalten wurde, dass auch noch
der letzte Rest Dekolleté sittsam verschlossen war, bat sie Platz zu nehmen.
„Sie interessieren sich für die Arbeit als Pflegehilfskraft hier bei uns im
Seniorenheim?“, fragte sie freundlich.
„Ja, gerade auch die
Wochenendarbeitszeit komm t mir sehr entgegen, da ich mich unter der
Woche um mein Studium kümmern muss. Ich habe gerade erst angefangen und es
fällt mir nicht so leicht“, fügte Emily entschuldigend hinzu. Warum erzählte
sie das der Frau? Sie wollte den Job doch nicht aus lauter Mitleid bekommen.
Sie setzte sich ein wenig gerader hin.
„Haben Sie bereits Erfahrung in der Altenpflege sammeln
können?“
„Ein bisschen. Meine Großmutter war drei Jahre im Pflegeheim
in Hamburg und ich habe mich an der Pflege beteiligt, wenn ich sie besuchen
kam, gerade auch im letzten Jahr, als sie bettlägerig war. Ich habe sie
gefüttert, manchmal abends noch gewaschen und gelegentlich auch mit der
Pflegerin zusammen die Windeln gewechselt.“ Ihre Oma Hanne hatte sie wirklich
gern gehabt, aber sie war nun auch schon drei Jahre tot.
„Hm, das ist besser als nichts. Gehen Sie denn gerne mit
alten Menschen um?“
Ups, die Frage hatte sich Emily gar nicht gestellt, jetzt
hieß es improvisieren. „Ich denke, Menschen sind Menschen, egal ob jung oder
alt und ich mag Menschen.“
„Sie müssen wissen, es ist nicht nur ein Job, das werden Sie
schnell merken.“ Frau Storck sah Emily prüfend an, als könnte sie ihre Gedanken
lesen. „Jeder Mensch hier möchte individuell behandelt werden und wir versuchen
auf die Eigenheiten einzugehen, soweit wir das im Rahmen unserer begrenzten
Möglichkeiten können. Wenn jemand seinen Kaffee lieber aus der Untertasse
trinkt, kann er das tun. Wenn jemand sein Kuscheltier mit in den Rollstuhl nehmen will, geben wir es mit.
Wer seine Tabletten gerne mit
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