Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Apfelsaft einnimmt, bekommt sie so. Und
auch ein Gläschen Wein vor dem Schlafengehen gibt es ab und zu, wenn die
Medikation es erlaubt.“
Das hörte sich doch ganz nett an, hoffentlich erwischte sie
auch so ein Altenheim, wenn es bei ihr so weit war. Sie sah sich schon mit
ihrem Frotteehasen über der Schulter mit einem anderen netten Neunzigjährigen
ein Gläschen Prosecco picheln.
„Sie müssten samstags um sechs Uhr anfangen, da beginnt bei
uns der Frühdienst, und würden dann bis fünfzehn Uhr arbeiten und am Sonntag
beginnen Sie um vierzehn Uhr und ihre Schicht ginge dann bis einundzwanzig
Uhr.“ Na ja, wenigstens sonntags ausschlafen und Samstagabend könnte sie auch
weggehen, das war doch ganz in Ordnung.
„Arbeitskleidung bekommen sie gestellt, sie müssten sie aber
selbst waschen. Bitte besorgen Sie sich ein paar hinten geschlossene, weiße
Schuhe.“ Emily nickte. „Möchten Sie sich die Station ansehen und danach
entscheiden, ob sie den Job haben möchten?“ Frau Storck führte sie durch den
Gang, nickte freundlich nach links und rechts, wo entweder Einzelpersonen oder
kleine Grüppchen alter Herrschaften in Nischen zusammensaßen. Manchmal drückte
sie eine Hand, fegte auch ein paar Krümel vom Revers eines Herren, der sanft
schnarchte, dann bogen sie um die Ecke. Emily spürte direkt, dass irgendetwas
nicht stimmte. Vor ihnen lag in gekrümmter Haltung eine Frau auf dem Boden, der
Rollstuhl war umgekippt, sie umklammerte noch mit der einen Hand einen
Schokomuffin, wimmerte aber auch leise vor sich hin.
„Frau Reichenstein, haben Sie sich weh getan?“, fragte die
Pflegedienstleiterin. „Sie sollen doch klingeln, wenn sie aufstehen und zum
Kaffeetrinken fahren.“
„Ich dachte, ich schaff’s allein“, flüsterte Frau
Reichenstein.
„Frau Neumann, packen Sie doch bitte mit an.“ Frau Storck
hatte den Rollstuhl bereits wieder aufgerichtet und die Bremse festgestellt.
„Greifen Sie ihr einfach unter die Schulter und wir setzen sie in den Wagen.“
„Ist sie denn nicht verletzt?“, fragte Emily ängstlich.
„Nein, ich denke nicht.
Eins, zwei, drei und hoch“, gab Frau Storck das Kommando und wie durch ein
Wunder saß Frau Reichenstein wieder im Wagen. Nur der krümelige Muffin war auf
dem Boden geblieben. Sie streckte die Hand danach aus und Frau Storck
versprach, ihr einen neuen aufs Zimmer bringen zu lassen. Da trat ein Herr mit
Gehstock aus seinem Zimmer, schloss sorgfältig ab, ging auf Frau Reichenstein
zu und gab ihr galant einen Handkuss. „Meine liebe Emilie, ich freue mich, Sie
zu sehen“, sprach er würdevoll. Emilie? Hilfe, dachte Emily.
„Passen Sie lieber auf Ihre Emilie auf, Herr Nas, sie ist
schon wieder gestürzt“, sagte Frau Storck kopfschüttelnd, aber mit einem
kleinen Lächeln. Aufgeregt flüsternd zogen die beiden weiter, indem Herr Naas
seinen Gehstock an den Rollstuhl hängte und seine Emilie vorsichtig vor sich
herschob. Hier war nicht so klar, wer sich an wem festhielt.
„Die beiden sind ein ganz wunderbares Paar“, sagte Frau
Storck, „die Liebe hört doch niemals auf. Jetzt möchte ich Sie gerne unseren
beiden Altenpflegerinnen vorstellen, aber ich glaube, vorher haben wir noch
etwas zu erledigen“, sprach sie mit Blick auf eine gelbe Pfütze und einige
Fußspuren, die sich davon entfernten. „Das sieht nach Herrn Himmelheber aus. Er
schafft es gelegentlich nicht bis zu seiner Toilette. Könnten Sie da vorne im
Abstellraum bitte mal einen Eimer mit Wasser holen und den Wischmopp
mitbringen.“ Emily beeilte sich, dem Auftrag nachzukommen, und fand sogar noch
ein Putzmittel, das sie in das Wasser gab, so dass es grünlich schäumte. Dann
ging sie zu der besagten Stelle zurück, von Frau Storck war keine Spur mehr zu
sehen, vermutlich war sie der Tropfspur von Herrn Himmelheber gefolgt. Also
machte Emily sich daran, die Hinterlassenschaften des unbekannten Herrn
wegzuwischen. Da ging die Tür auf und ein Mann erschien, der fast den ganzen
Türstock ausfüllte. Er war vermutlich noch gar nicht sehr alt, dafür aber umso
mehr in die Breite gewachsen, so dass das Fett seines Bauches bis knapp über
die Knie herunterhing.
„Was machen Sie da vor meiner Tür?“, brüllte er. „Sie wollen
mich wohl belauschen! Sie junges Ding wissen ja gar nicht, worum es hier geht.
Gehen Sie weg, bevor ich Ihnen Beine mache!“ Emily wusste nicht, wie ihr
geschah, sie konnte gerade noch den Putzeimer schnappen, denn er versuchte,
nach ihm zu treten, und den Gang
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