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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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bésame mucho, como si fuera esta noche la última vez – Küss mich, küss mich viel, als wäre diese Nacht das letzte Mal.“ Die
Melodie des Copla-Klassikers dringt aus dem niedrigen Flachbau, zu dem uns ein alter Herr in dem Dorf Alfarnate geführt hat, als wir ihn nach dem
Kulturhaus gefragt haben. Dort nimmt Evas Oma Tanzunterricht. Hinter den Fensterscheiben wirbeln ein paar ältere Frauen in langen, bunten Röcken übers
Parkett, in den Händen halten sie kunstvoll bestickte Mantones. Als wir mit der Kamera in den Raum treten, geraten die Tanzschritte der Frauen ins
Stocken, sie kichern verlegen. Doch die Lehrerin, die in unser Vorhaben eingeweiht ist, hält die Damen an, weiterzutanzen. „¡Vamos, vamos!“ Josefa,
Evas Oma, ist die Einzige, die sich von uns nicht beeindrucken hat lassen, sondern weiter ihre Pirouetten dreht. Sie genießt sichtlich die
Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wird. „Meine Großmutter ist eine Frau mit unglaublich viel Lebensfreude. Sie hat jetzt begonnen zu tanzen und spielt
sogar Theater“, hatte Eva über ihre Oma gesagt und nicht zu viel versprochen. Die über achtzigjährige weißhaarige Frau strahlt. Kaum ist der Unterricht
vorbei, kommt sie auf uns zu und sagt: „Ich habe auf euch gewartet.“
    Alfarnate ist ein kleines Dorf. Alle Häuser sind weißgekalkt, die Rollläden sind fast den ganzen Tag heruntergelassen, in den Gassen
riecht es nach Eintopf. Wir folgen Josefa zu ihrem Haus. Sie bittet uns, an einem runden Tisch Platz zu nehmen, auf dem eine Decke liegt, die bis zum
Boden reicht. „Das ist eine Mesa Camilla“, erklärt sie. „Wenn euch kalt ist, könnt ihr die Beine unter die Decke stecken, da wird euch bestimmt gleich
warm.“ Uns ist kalt, Alfarnate liegt in den Bergen, jetzt am Nachmittag sinken die Temperaturen auf zehn Grad. Josefa betätigt einen Schalter, wir
decken uns zu und es dauert keine Minute, da ist uns angenehm warm. Ich werfe einen Blick unter die Decke, ein kleiner Heizkörper glüht dort
feuerrot. „Früher haben wir die Glut aus dem Feuer unter den Tisch gestellt. Aber die Heizung wärmt länger und es ist ungefährlicher“, sagt Josefa und
verschwindet in der Küche. Franziska und ich sehen uns an und können uns ein Lachen nicht verkneifen. „Wir werden nach dem Dreh noch kugelrund sein dank
der andalusischen Gebräuche“, sagt sie. Tatsächlich kommt Josefa mit Saft, Keksen und Nüssen zurück.
    Dann beginnen wir mit dem Interview. Zuerst stellen wir einfache Fragen über ihre Freizeit; als Josefa im Redefluss ist, packen wir die heiklen Themen
an. „Wie hast du den Tod deines Mannes erlebt?“ Zuerst erstarrt sie. Einen langen Moment denke ich, ich hätte die Frage im falschen Moment gestellt,
doch dann ist Josefa plötzlich ganz gefasst. „Es war nicht einfach. Schließlich haben wir das ganze Leben zusammen verbracht. Doch seit ich mich daran
gewöhnt habe, fühle ich mich plötzlich ... nun ja, frei. Ich muss niemandem mehr Rechenschaft ablegen, kann kochen oder es bleiben lassen, das
Fernsehprogramm einschalten, das ich will …“
    Ich fasse Vertrauen und schiebe die zweite zentrale Frage unseres Interviews gleich hinterher. „Erinnerst du dich noch daran, wie es war, als Francos
Truppen nach Alfarnatekamen?“ Wieder bleibt Josefa zuerst stumm. „Wir konnten gerade noch nach Almería flüchten.“ Ihre Stimme
erstickt. „Viele aus dem Dorf haben es nicht mehr geschafft …“ Dann bricht sie ab.
    Als wir Josefa verlassen, blickt mich Franziska mit großen Augen an. Von der Bombardierung der Landstraße, die von Málaga nach Almería führt, im
Spanischen Bürgerkrieg hat sie noch nie gehört. Das Massaker wird auch als das Guernica von Málaga bezeichnet. Viele Historiker sagen sogar, es war noch
blutiger als das auf die Stadt im Baskenland, die durch das gleichnamige Gemälde von Picasso zum Sinnbild des Bürgerkriegs wurde. „Erzähl mir davon“,
fordert Franziska mich auf. „Februar 1937“, beginne ich. „Spanien befindet sich mitten im Bürgerkrieg. Die nationalen Truppen unter General Francisco
Franco sind auf dem Vormarsch, die Republikaner verlieren immer mehr Stellungen, Málaga, noch in roter Hand, ist gefährdet. In den Wochen zuvor waren
unzählige Republikaner aus anderen andalusischen Städten hierher geflohen. Sie erzählen den Malagueños von den Gräueltaten, die die
Spanisch-Marokkanischen auch an der Zivilgesellschaft verübten.“ Francisca und das übrige Team hören gebannt zu. „Als der Feind

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