Ein Jahr in Andalusien
ihre
Landsleute hier tun. Mehr als zehntausend Deutsche residieren an der Sonnenküste zwischen Estepona und Almuñecar.
Am Flughafen von Málaga ist am Sonntagabend die Hölle los. Im Minutentakt landen und starten Flugzeuge aus und nach England, Irland,
Norwegen, Schweden, Dänemark und natürlich Deutschland. Franziska entdeckt mich in dem Chaos zuerst. Schnell flüchten wir aus dem Getümmel, suchen
meinen Bus und nehmen Kurs auf Granada. In den Händen hält Franziska schon den Zeitplan für die nächste Woche, den ich für sie zusammengestellt
habe. Jeden Tag habe ich zwei Interviews in Granada geplant, am Wochenende besuchen wir außerdem noch eine Kandidatenfamilie in Málaga und eine in
Cádiz. „Hast du schon einen Favoriten?“, frage ich sie. „Nach deinen Beschreibungen wirkt die Familie von Eva am spannendsten. Da ist so viel
Lebensfreude und der Kontrast zwischen den Generationen ist groß.“ Von jeder Familie hatte ich Franziska eine kurze Beschreibung mit Fotos gesendet,
auch die von Eva, meiner Bekannten aus Granada, war dabei.
Am nächsten Vormittag beginnt unser Interviewmarathon. Wir sprechen mit Großmüttern, die Franco nachtrauern, und mit solchen, deren Brüder im
Bürgerkrieg erschossen worden sind. Fast alle tragen seit dem Tod ihresEhemanns Schwarz, nur Evas Oma fühlt sich nach einem Leben im
Dienst der Familie befreit. Einige opfern sich immer noch für ihren Mann auf. Und es gibt auch viele Mütter, die seit ihrer frühen Jugend mit demselben
Mann zusammen sind, nur wenige sind geschieden, kaum eine arbeitet. Die Leben der Töchter ähneln sich am meisten. Fast alle haben studiert und bereits
mehrere Partner gehabt. Trotzdem sind auch die Repräsentantinnen der jüngsten Generation ganz unterschiedlich. Eva gefällt Franziska auch nach den
persönlichen Gesprächen am besten. Sie ist eine der wenigen, die im Ausland war. Die Spanier und die Andalusier sind besonders stark mit ihrer Heimat
verbunden, viele wollen nicht einmal ihren Geburtsort verlassen. Außerdem ist Eva selbstständig, die meisten anderen jungen Frauen streben feste
Beamtenstellen als Lehrerinnen oder als Dozentinnen an oder haben bereits einen Platz ergattert. Nach einer langen Woche voller Gespräche, Termine und
ersten Drehs mit einer kleinen Kamera steht fest: Evas Familie wird tatsächlich die Protagonistin des Dokumentarfilms über die spanische Frau sein. Eine
Woche lang gibt Franziska mir Zeit, den Drehplan zu organisieren und die notwendigen Genehmigungen einzuholen, dann will sie mit Kameramann und Tonfrau
am Flughafen von Málaga anrücken.
Eva lebt und arbeitet in Granada, stammt aber aus Alfarnate, einem Dorf in der Nähe von Málaga, wo ihre Großmutter noch heute wohnt, die Mutter wohnt
mit Evas Brüdern in Málaga. Sie ist begeistert über die Aussicht, die spanische Frau im deutschen Fernsehen repräsentieren zu dürfen. Gerade dreht sie
selber einen Film, in dem sie ihre eigene Vergangenheit mit der jüngsten spanischen Geschichte verknüpft. Erst vor kurzem hat sie erfahren, dass ihr
Großvater im Bürgerkrieg von Francos Truppen erschossen und in einem Massengrab in Málaga begraben worden ist. In ihrer Familie hat niemand jemals ein
Wort darüberverloren. Ihr Vater starb vor ein paar Jahren, ohne dass Eva je mit ihm darüber gesprochen hätte: Der Terror, den die
Angehörigen von Republikanern durch Francos Schergen erlebten, saß noch so tief in seinen Knochen, dass er sich selbst ein Vierteljahrhundert nach dem
Tod des Diktators nicht traute, über die eigene Vergangenheit und die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren war, zu sprechen. Für unseren Dokumentarfilm
wollen wir Eva auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit begleiten. Ihre Mutter filmen wir bei ihrer täglichen Aufopferung für die Familie; die
Großmutter bei ihrem neuen Leben als fröhliche Witwe, die ihre Freiheit genießt. Wir wollen sie außerdem nach der Episode befragen, die ihre Enkelin
jetzt so beschäftigt. Mit allen drei Frauen vereinbare ich Termine, ich organisiere Hotels und Genehmigungen. Ehe ich mich versehe, ist die Woche
vorüber und Franziska und ihr Team sind da. Als Erstes steht Evas Geschichte auf dem Programm.
Es ist acht Uhr morgens, als wir am Friedhof San Rafael in Málaga ankommen. Die Sonne geht gerade auf, der Himmel ist blassblau. Hier,
am westlichen Stadtrand, liegt die größte Ansammlung von Massengräbern aus dem Spanischen Bürgerkrieg und der Nachkriegszeit in ganz Spanien.
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