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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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katholische Prozession die Fahne, die Fernando
und Isabel bei der Eroberung gehisst haben, bis zum Rathaus der Stadt, wo ein Politiker sie erneut emporzieht. In der islamischen Gemeinde stößt diese
Tradition natürlich auf Abneigung.
    „Wir verstehen nicht, wie man diesen Tag feiern kann“, sagt Abdalhasib, als ich ihn frage, wie er dazu steht. „Es war ein grausamer Kriegszug der
Katholiken gegen die Muslime.“ Für die Katholiken ist es hingegen der Befreiungsschlag gegen eine jahrhundertelange Unterdrückung. Dennoch scheinen
sich Christen und Muslime anzunähern. Die katholischen Granadinos verzichteten in den letzten Jahren auf den Pomp bei den Eroberungsfeiern, das
maurische Erbe der Region schätzen auch sie immer mehr. Abdalhasib erzählt uns später, dass er bis zum Jahr 1977 Katholik war und Ramón hieß. Er sagt:
„Immer mehr Andalusier kehren zu ihren Wurzeln zurück.“ Womit er meint, sie konvertieren zum Islam. „Das maurische Erbe ist in Andalusien sehr
lebendig, keiner kann sich dem verschließen. Fast achthundert Jahre war das Land islamisch“, erklärt er. Abdalhasib glaubt, der Islam sei in ganz
Andalusien auf dem Siegeszug. „Seit der Gründung der Moschee sind hier bestimmt schon hundert Menschen zum Islam übergetreten. Es ist mehr als eine
Religion, es ist eine antimaterialistische Lebensauffassung.“ Abdalhasib sagt, es sei genau das, was viele in den Zeiten des Scheiterns des
Kapitalismus suchten.
    „Siehst du, auf die spanische Art kommt man weiter als mit der deutschen“, triumphiert Jaime, als wir zum Mirador San Nicolás schlendern. Ein paar
langhaarige Männer spielen dort Gitarre, eine rundliche, runzlige Gitana spielt dazu im Takt die Kastagnetten, die sie an die Touristen verkaufen
will. Er freut sich wie ein kleines Kind, dass wir die Moscheegesehen haben, obwohl ich behauptet hatte, das sei ohne Voranmeldung
unmöglich. „Deine Taktik hätte auch nach hinten losgehen können“, wende ich ein. „Na und? Dann wären wir eben gegangen, und du hättest brav, ganz
deutsch, einen Termin ausgemacht.“ „Du hast ja recht“, gebe ich mich geschlagen. Wir setzen uns auf die Mauer, die den Aussichtspunkt begrenzt, und
blicken auf die Alhambra, die Palastanlage der letzten islamischen Herrscher, auf die alle Andalusier heute so stolz sind.

    Als ich am nächsten Montag meine E-Mails lese, ist mein erstes Weihnachtsgeschenk dabei. Eine deutsche Zeitschrift will eine Reportage
über die Aufzucht des Iberischen Luchses im Nationalpark Coto de Doñana. Erst in der Woche davor hatte ich an meine Bekannten eine Mail verschickt, dass
ich jetzt in Andalusien lebe und Aufträge suche. Ohne zu zögern gehe ich in ein Internetcafé, um Hannah, die Absenderin der Mail, anzurufen. Sie selbst
kenne ich nicht, vermutlich hat einer meiner Freunde meine Adresse weitergegeben. Das Gespräch läuft gut, Hannah freut sich, dass ich mitmachen
will. Sie erklärt mir, dass sie das Thema interessiert, weil der Iberische Luchs die erste große Raubkatze weltweit sei, die vom Aussterben bedroht
ist. „Wenn alles wo weitergeht wie bisher, gibt es den Luchs in spätestens dreißig Jahren nicht mehr“, sagt sie. „Schuld an der Entwicklung ist nur der
Mensch. Die Bauwut hat das natürliche Habitat der Wildkatze zerstört. Das Aufzuchtprogramm im Nationalpark Doñana ist ihre letzte Chance. In Kürze
sollen die ersten Jungtiere in die Freiheit entlassen werden. Dabei wird sich herausstellen, ob das Programm funktioniert.“ Hannah will ein paar Texte
von mir lesen, bevor sie mir den Auftrag zusichert. Am nächsten Tag gibt sie mir das Okay, die Reportage soll bis Ende Januar fertig sein.
    Weil ich Zeit habe und mein künftiges Revierkennenlernen möchte, beschließe ich, den Nationalpark schon nächste Woche zu
erkunden. Die letzten Recherchen für Franziskas Film sind abgeschlossen, meine Bewerbungen bei den beiden deutschsprachigen Wochenzeitungen an der Costa
del Sol abgeschickt; aber erst Mitte Januar, nach den endlosen spanischen Weihnachtsfeiertagen, habe ich Termine für die Vorstellungsgespräche in Málaga
und Marbella bekommen. Auch die deutschen Residenten haben sich anscheinend an die spanischen Gebräuche angepasst.
    Das Naturschutzgebiet Coto de Doñana erstreckt sich im Mündungsbereich des Flusses Río Guadalquivir in der Provinz Huelva und ist vor allem deshalb ein
Naturschutzgebiet, weil hier zwei Mal im Jahr sehr viele Zugvögel auf dem Weg zwischen Europa und Afrika einen

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