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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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Andalusien. Schon morgen müsste das Bewerbungsgespräch für den Job stattfinden, stand in der Mail, in einer Woche
soll der Dreh beginnen. Ich rief sofort beim Produzenten an und vereinbarte einen Termin für den nächsten Tag. Dann ging ich in die Bibliothek und
sammelte alles, was ich über die beiden finden konnte.
    Averroes war im 12. Jahrhundert ein Kadi, ein islamischer Richter, in Córdoba. Und Maimonides war ein jüdischer Zeitgenosse Averroes’, der seine ersten
Lebensjahre ebenfalls in der damaligen Hauptstadt des maurisch besetzten Spaniens verbrachte. Beide galten als spirituelle Größenin
ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft und als vehemente Verfechter der religiösen Toleranz, beide gehörten zu den Ersten, die im Mittelalter nach mehr
als tausend Jahren die Schriften des Aristoteles aus der Vergessenheit wieder hervorholten. Weil sie Toleranz zwischen den Religionen predigten, mussten
sie aber im Jahr 1150 aus ihrer Geburtsstadt fliehen, denn mit den Almohaden waren islamische Fundamentalisten an die Macht gekommen.
    Die Geschichte der beiden Revoluzzer hat auch mein Interesse geweckt, und so fahre ich voll froher Erwartung auf meiner Vespa an der Strandpromenade
entlang zum Vorstellungsgespräch im Stadtviertel El Palo, wo die Produktionsfirma ihren Sitz hat. Als ich dort begeistert von Averroes und Maimonides
erzähle, werden die harten Gesichtszüge des Regisseurs langsam weicher, er blickt mich jetzt freundlich an. „Das sieht ja so aus, als wärst du ein
genauso großer Fan der beiden wie ich. Sehr gern würde ich mit dir zusammenarbeiten. Ich bin Jacob“, sagt er, streckt mir seine Hand entgegen und
drückt sie fest. Dann erklärt er mir, er wolle in der nächsten Woche an der Wirkungsstätte der beiden drehen. Ein Interview mit Mansur Escudero, dem
Präsidenten der Junta Islámica, einer der größten islamischen Vereinigungen Spaniens, steht auch auf dem Plan. Ich soll die Genehmigungen für den Dreh
in der Stadt besorgen, den Interviewtermin organisieren und außerdem nach möglichen weiteren Gesprächspartnern in Córdoba suchen. Jacob gibt mir seine
Karte und ein Dossier über den Film, dann reicht er mich an den Produzenten weiter. Der will mit mir die Bezahlung verhandeln.
    Auf diesen Teil des Bewerbungsgesprächs hatte ich mich viel weniger vorbereitet als auf den ersten, im Glauben, die größte Schwierigkeit bestehe darin,
meine fachliche Kompetenz unter Beweis zu stellen. Jetzt sitze ich vor José, dem Produzenten, und bin erst einmal stumm. Bisher war ichbeim Gehalt immer vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Als ich schließlich eine Summe nenne, schluckt José erst, druckst dann
herum und sagt, das sei für seine Firma zu viel. Sein Angebot liegt deutlich unter meiner Forderung, trotzdem sage ich zu. Das Filmprojekt hat mich
begeistert, und dass die Gehälter in Málaga niedriger sind als in München, war zu erwarten.

    Zu Hause mache ich mich daran, den Dreh zu organisieren. Zuerst will ich das Interview mit Mansur Escudero unter Dach und Fach
bringen. Die übrigen Termine werde ich danach richten. Escudero ist nicht nur der Präsident der wichtigsten muslimischen Vereinigung in Spanien, sondern
auch Psychiater. Er stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Málaga, war während der Franco-Diktatur militanter Kommunist und konvertierte im Jahr
1979 zum Islam. Jetzt wohnt er in der Nähe des Städtchens Almódovar del Río, südwestlich von Córdoba, wo wir ihn in der kommenden Woche für das
Interview besuchen sollen. Escudero hat als erster islamischer Führer weltweit nach den Anschlägen von New York den Terrorismus in einer Fatwa
verurteilt.
    Die Suche nach weiteren Interviewpartnern dieses Kalibers stellt sich als schwierig heraus. Der Dreh in Córdoba ist ein wichtiger Teil des
Dokumentarfilms, denn diese Stadt symbolisiert für Jacob, dass das friedliche Miteinander der Religionen möglich ist, diese Tradition will er in seinem
Film aufleben lassen. Schließlich stoße ich auf die Einrichtung Casa Sefarad, ein Museum, das an die Geschichte der spanischen Juden in Córdoba
erinnert. Allerdings gibt es dort keine so imposante Figur wie Mansur Escudero. Weil es jedoch meine einzige Ausbeute ist, rufe ich Jacob an. Er findet
das Haus vor allem deshalb interessant, weil dort regelmäßig Konzerte mit Sefarad-Musik veranstaltet werden. Dabei versuchen die Musiker mit
arabischenSaiteninstrumenten die Klänge zu erzeugen, die die Juden im Mittelalter in Spanien

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