Ein Jahr in Andalusien
passiert das leider überhaupt nicht mehr. Im Publikum sitzen immer
mehr Laien, die wollen immer das Ende des Stiers sehen.“ Pablo seufzt. Er selbst, sagt er, schaue beim Ende des Kampfs fast immer weg.
Der Stiereflüsterer ist auch dabei, wenn jedes Jahr im Januar die Kühe in den Ring müssen. Denn nicht nur die Stiere, so erfahren wir, sondern auch die
Kühe müssen ihre Aggressivität unter Beweis stellen, um die nächste Generation der Kampfstiere gebären zu dürfen. „Jedes Jahr stehenetwa hundert Kühe zur Auswahl. Sie müssen auch gegen einen Torero kämpfen. Dieses Jahr war eine dabei, die ist beim Anblick des Stierkämpfers glatt über
die Absperrung der Arena gesprungen und davongelaufen“, erzählt Pablo und lacht. „So was habe ich noch nie erlebt. Die wurde dann natürlich gleich
weiter zum Metzger geschickt.“ Meiner Mutter und ich sehen uns entsetzt an, aber Pablo entgeht unser Unbehagen. Er lenkt den Jeep schon wieder durch
den Morast.
„Hat dich schon mal ein Stier verletzt?“, frage ich. Er überlegt lange. „Nur bei einem der Probekämpfe mit den Mutterstieren habe ich mich mal
verletzt. Ich wollte einem Torero zu Hilfe kommen, der in die Bredouille geraten war, und bekam schließlich selber das Horn der Kuh ab.“ Dann beeilt er
sich zu sagen: „Das war aber allein meine Schuld. Ich war einfach unaufmerksam.“ Für Pablo scheint es kein ehrenwerteres Lebewesen als den Kampfstier
zu geben. Nach dem Besuch bei den betagten Stieren bringt er uns zurück zur Finca in Linares. Wir verabschieden uns von Pablo, der „dringend wieder zu
den Stieren“ muss.
„Es ist unmöglich, heute noch Leute wie Pablo zu finden“, sagt Rocío, die Frau des ältesten Sohns des alten Züchters und damit die First Lady der
Finca und La Jefa. Sie bittet uns auf einen Kaffee in das alte Bauernhaus. An den Wänden hängen ausgestopfte Stierköpfe, historische Werkzeuge und
Familienfotos. Das Haus ist voll alter Möbel, an den Fenstern hängen schwere Vorhänge. Wir folgen ihr in die Küche, die Einrichtung stammt aus den
Siebzigerjahren. „Ich meine nicht nur die langen Arbeitszeiten, sondern vor allem die Hingabe, mit der Pablo seiner Arbeit nachgeht“, fährt Rocío
fort. „Und er steht mir stets zur Seite.“ Die junge Frau scheint Pablo sehr zu schätzen.
Während sie den Kaffee aufsetzt, erzählt sie uns, dass sie erst seit sieben Jahren in der Sierra Morena zusammen mitden Kampfstieren
lebt. Davor arbeitete sie in Madrid bei einem Fernsehsender als Bühnenbildnerin. „Der Wechsel von der Großstadt in die andalusische Provinz war nicht
leicht, deshalb fahre ich immer noch oft zu meiner Familie in die Hauptstadt. Aber in Linares de la Sierra habe ich mir auch einen Traum erfüllt.
“ Rocío schenkt den Kaffee in filigrane Tassen, stellt Zucker und Milch auf den Tisch. „Seit ich denken kann, faszinieren mich die Stiere und der
Stierkampf. Ich habe mir keinen der wichtigen Stierkämpfe in Pamplona und Bilbao entgehen lassen, als ich noch in Madrid wohnte“, erzählt sie
begeistert, ihre Augen blitzen. „An dieser Welt wollte ich immer schon teilhaben.“ Sie hält die kleine Tasse mit beiden Händen fest und nimmt kleine
Schlucke daraus. Sie erzählt uns, dass sie ihren Mann dann auch auf einem Stierkampf kennenlernte. Er hatte seine Stiere nach Bilbao gebracht, sie war
im Publikum dabei. „Um die Entscheidung zu fällen, ob ich mein bisheriges Leben gegen das einer Gutsherrin in Andalusien eintauschen sollte, brauchte
ich deshalb auch nicht wirklich lange“, sagt sie. „Fehlt dir nicht deine Arbeit?“, frage ich. „Hier auf der Finca kann ich auch kreativ arbeiten. Man
muss neue Einkommensquellen auftun, die Stierzucht bringt immer weniger Geld. Auch wenn meine neue Familie zu den wichtigsten Züchtern im ganzen Land
gehört, können die Stiere uns nicht mehr allein ernähren. Deshalb führe ich an der Seite von Pablo Touristen auf der Finca herum und ich organisiere
Flamencoaufführungen.“ Wir erfahren auch, dass die Jungzüchter gerade auf den ausgedehnten Ländereien Windräder installieren lassen. „Die Sierra Morena
ist zwar nicht Madrid, aber spannend ist es hier auch“, sagt Rocío, als sie uns zum Ausgang bringt. Mittlerweile ist es fast zwei Uhr, Mittagszeit in
Andalusien. „Ich muss noch das Essen machen“, sagt sie entschuldigend und ist schon wieder in dem düsteren Cortijo verschwunden.
Meine Mutter und ich fallen in das nächste Landgasthaus ein, auch wir haben nach
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