Ein Jahr in Andalusien
als fünfhundert Kampfstiere leben. Aber nur
diejenigen, die jetzt etwa vier Jahre alt sind, werden in der kommenden Saison kämpfen. Das sind etwa hundert Stiere“, erzählt Pablo, ganz als wäre er
der eigentliche Besitzer der Stierzucht. Wir erfahren, dass die übrigen Stiere noch zu jung sind, um dem Torero gegenüberzutreten, und ein paar sind für
den Ring auch schon zu alt. Das sind die Väter der künftigen Generationen. Pablo erklärt uns, dass auf jeder der vier Fincas der Familie Stiere
verschiedener Altersstufen leben, bei Linares de la Sierra sind die Stiere untergebracht, die in der kommenden oder laufenden Saison in die Arena
müssen. Meine Mutter und ich blicken uns an, unsere Bedenken angesichts des riesigen Stiers im Wald waren also doch nicht ganz fehl am Platz. Aber Pablo
beruhigt uns gleich. „Auf Menschen haben es die Stiere nur abgesehen, wenn man sie angreift.“
Jetzt im Winter kommen aus ganz Spanien die Organisatoren der Stierkämpfe, um die besten Exemplare für die kommenden Ferias auszusuchen. Diese Arbeit
scheintPablo am wenigsten zu gefallen. Sein sonst so fröhlicher Gesichtsausdruck wird plötzlich ernst. „Ich stelle dann Gruppen von
sechs Stieren zusammen, so viele müssen bei einer Corrida de Toros in den Ring. Wir können die Käufer nicht unter allen hundert Stieren aussuchen
lassen, sonst würden alle die gleichen, nämlich die besten Exemplare auswählen.“ Wie man den besten Stier erkennt, kann Pablo uns aber nur schlecht
erklären. Manchmal zeigt er beim Vorbeifahren auf einen und sagt: „Schaut euch den an! Ist der nicht prächtig?“ Für uns sehen die Toros hingegen alle
gleich groß und schwarz aus.
Plötzlich bremst Pablo scharf. Zwei Stiere stehen sich nicht weit von uns entfernt gegenüber, sie scharren mit den Vorderhufen im Gras, ihre Köpfe sind
gesenkt. Pablo hängt sich aus dem Fenster, öffnet den Mund und stößt tiefe kehlige Laute aus, die nicht von einem Menschen zu stammen scheinen. Es
dauert nicht lange, da hat er die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich gezogen, die beiden Streithähne scheinen das Interesse aneinander verloren zu
haben. „Stiere sind wie wir Männer, sie benehmen sich wie stolze Gockel“, erklärt uns Pablo später, als wir schon wieder Fahrt aufgenommen
haben. „Derjenige, der am meisten angibt, ist den anderen ein Dorn im Auge. Da kann es zu Kämpfen kommen, die tödlich enden. Wenn sich nur zwei in die
Haare kriegen, muss ich mich aber meist nur auf dem Pferd nähern und schon ist es vorbei. Kritisch wird es, wenn es mehrere auf einen abgesehen
haben. Dann muss ich richtig dazwischengehen. Meine Aufgabe besteht jetzt während der Wintermonate neben der Fütterung vor allem darin, die Stiere
lebend in die nächste Saison zu bringen.“ Meine Mutter will wissen, ob Pablo einen Lieblingsstier hat. „Es gab mal einen, der hat mir aus der Hand
gefressen, wie ein Hund. Auf ihm konnte ich sogar reiten, abgeworfen hat er mich nie“, erzählt Pablo. „Als er in die Arena musste, warich richtig traurig.“ Kurz wird er melancholisch, doch dann fügt er schnell hinzu: „Aber das ist eben ihre Bestimmung.“
Während wir über schmale Feldwege zur nächsten Finca tuckern – am Wegrand begleiten uns wieder Trockensteinmauern –, erzählt uns Pablo, dass die
Anreise und die Versorgung der Tiere bis kurz vor dem Kampf der Züchter übernimmt. Einer von der Finca muss mit den Stieren immer bis zur Arena reisen
und beim Kampf anwesend sein. „Oft muss ich dann auch mit. Stierkämpfe mag ich eigentlich sehr gern, aber wenn meine Stiere dabei sind, kann ich das
Spektakel einfach nicht genießen.“
Mittlerweile sind wir auf der Finca angekommen, wo die Zuchtbullen leben. „Das sind die Auserwählten“, sagt Pablo und springt aus dem Jeep. Auf einer
grünen Wiese grasen friedlich eine Handvoll betagter Kampfstiere. Als auch wir aussteigen wollen, schüttelt er wild den Kopf. „Die alten Stiere sind die
aggressivsten von allen. Ihnen bleibt die Arena erspart, weil sie die nächsten Generationen von Kampfstieren erzeugen sollen.“ Pablo erzählt, dass auch
diejenigen, die vom Publikum wegen ihres todesmutigen Kampfes begnadigt werden, auf die Weide zurückkehren dürfen, wo sie aufgewachsen sind. Unter den
zwanzig Stieren ist aber nur einer dabei, der die Arena kennengelernt hat. „Zwölf Jahre ist das schon her. Es macht mich richtig wütend, wenn das
Publikum die Stiere, die es sich verdient haben, nicht begnadigt. In letzter Zeit
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