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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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Truppe zu und versuche mir Gehör zu verschaffen, was gar nicht so einfach ist. „Hola, soy Veronica. He quedado con Inmaculada“, sage
ich mehrmals, dabei muss ich das Volumen immer mehr steigern, bis ich am Ende fast schreie. Erst dann blicken mich die Frauen etwas verwundert an. Sie
scheinen ganz vergessen zu haben, wieso sie an diese Ecke gekommen sind. Doch dann steht plötzlich eine kleine, leicht untersetzte Frau, Anfang dreißig,
mit schwarzem Lockenschopf vor mir. Wie die anderen trägt sie Rock, Bluse und Halbschuhe. „Hola Vero, soy Inma!“ Während wir die ersten Worte
austauschen, sind noch alle übrigen Augenpaare auf uns gerichtet, doch die anderen haben sich schnell an der deutschen Journalistin sattgesehen und sind
schon wieder in lautstarke Unterhaltungen vertieft. Ich bin froh, dass Inma eine so tiefe Stimme hat, dass ich sie auch trotz des Lärms gut
verstehe. Sie hakt sich bei mir ein, wir blicken auf die Straße, wo die Prozession vorbeizieht, von der Seite sieht sie mich erwartungsvoll an. „Der
Pressesprecher deiner Bruderschaft hat gesagt, ihr dürft den Thron deshalb nicht tragen, weil es in der Enge darunter zu unzüchtigen Berührungen kommen
kann ...“, beginne ich. „Ist das nicht unglaublich? Mit solchen Argumenten schneiden sich die Männer doch nur ins eigene Fleisch. Anscheinend können
sie neben einer Frau nur an das Eine denken.“ „Vergeht dir bei solchen Sprüchen nicht die Lust, den Thron zu tragen?“, frage ich vorsichtig. „Unsere
Haltung ist für jemanden, der mit dieser Tradition nicht aufgewachsen ist, vielleicht nicht so einfach nachzuvollziehen. Die Semana-Santa-Hermandad ist
für uns sehr wichtig, sie ist fast wie die Familie. Von Kindesbeinen an haben wir die Prozessionen verfolgt. Unsere Brüder wurden gleich nach der
Kommunion Mitglieder in den Hermandades“, erzählt sie, und mit der freien Hand unterstreicht sie ihre Worte mit kräftigen Gesten. „Damals wurden sie in
eine geheime Welteingeweiht, die für uns nicht zugänglich war. Wir durften nur als Zaungäste zusehen, wenn sie an den Umzügen
teilnahmen. Vielleicht gerade weil wir bisher so radikal von diesen Riten ausgeschlossen waren, haben sie für uns etwas Mystisches, das uns stark
anzieht. Mittlerweile dürfen wir zwar Mitglieder der Bruderschaft werden, aber den Thron dürfen wir immer noch nicht tragen. Dabei handelt es sich
jedoch um eine der wichtigsten Aufgaben bei der Prozession.“ „Und wieso geht ihr dann nicht einfach zu einer Bruderschaft, bei der ihr den Thron tragen
dürft?“, frage ich sie ganz pragmatisch. Inmaculada blickt mich skeptisch an. Sie scheint mir sagen zu wollen, dass ich wirklich gar nichts verstanden
habe. Sie hätte sogar recht. Diese religiös-mythische Welt ist mir so fremd wie die der Fakire. „Du musst verstehen, dass die Bruderschaften sehr eng
mit unseren Familien verbunden sind. Man kann sich nicht einfach eine aussuchen, sondern wird sozusagen hineingeboren“, erklärt sie schließlich
eindringlich.
    „Unsere Prozession zieht erst um zehn Uhr abends vorbei. Wenn du willst, können wir vorher noch ein paar Tapas essen.“ Die Idee finde ich
großartig. Ich hatte schon befürchtet, bei dem religiösen Eifer der Mädels müsste ich mir während der ganzen Nacht die Beine in den Bauch stehen. Wie
sie bei diesem Menschenaufkommen einen freien Platz für acht Frauen finden will, ist mir zwar schleierhaft, doch der resoluten Inmaculada traue ich
alles zu. Tatsächlich stellt sie sich an die Spitze unseres kleinen Zugs und bahnt uns einen Weg.
    Plötzlich stehen wir in einer Gasse, die im Vergleich zur Avenida de la Constitución menschenleer ist. Inmaculada und die anderen verschwinden gerade
in einer kleinen Tür und ich beeile mich, ihnen zu folgen. Im Inneren verbirgt sich eine alte Taverne mit gewölbten Decken, andalusischen Kacheln an den
Wänden und Terrakottafliesen am Boden. Ander hölzernen Bar ist die ganze Palette der andalusischen Tapas aufgereiht, alte
Eichenfässern dienen als Tische, davor sitzen die Gäste auf Barhockern. Zwei Fässer sind tatsächlich noch frei. „Ensaladilla Rusa, Papas a la Brava,
Berenjenas con Miel, Boquerones en Vinagre, Carne en Salsa, Dátiles con Bacon, Chorizo en Vino dulce, Croquetas Caseras …“ Ohne auch nur ein Mal Luft
zu holen, zählt der Kellner die Spezialitäten des Hauses auf. Inmaculada ergreift schnell das Wort und ordert Mayonnaisesalat, frittierte Auberginen mit
Honig, Sardellen in Essigsauce und

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