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Ein Jahr in Australien

Titel: Ein Jahr in Australien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julica Jungehuelsing
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Hörensagen. Sebastian von der Hotelrezeption, der so bleich war wie ein Bremer auf Urlaubsentzug, behauptete, seine Urgroßmutter sei Aborigine gewesen. Aber die lebte nicht mehr. Und die vorherrschende Hautfarbe in meiner Nachbarschaft war hell, mal abgesehen natürlich von Südamerikanern, Ex-Anrainern verschiedener Mittelmeerländer sowie Backpackern aus aller Welt.
    Ureinwohner machten zweihundert Jahre nach Einwanderung der Weißen gerade noch zwei Prozent der australischen Bevölkerung aus. Und die meisten der etwa 400 000 „black fellas“ lebten nicht in den großen Städten, sondern im Northern Territory und auf den Inseln der Torres Strait. Trotzdem verdankte mein neues Viertel den „traditionellen Besitzern“ dieses Kontinents immerhin seinen Namen. Und das galt nicht allein für Bondi. Neben Stadtteilen, die Paddington oder Newtown hießen, gab es selbst mitten in Sydney solche mit sehr geheimnisvollem Klang. Zu den schönsten gehörten für mich diejenigen, die – so ganz und gar nicht britisch zurückhaltend – mit wahren Feuerwerken an Doppellauten protzten. Da gab es zum Beispiel zwischen der Innenstadt und meinem neuen Zuhause ein Viertel namens Woolloomooloo. Der einzige Ort, den ich kannte, der mit drei verschiedenen Konsonanten auskam, aber dafür acht„o“s benötigte. Und wie erst musste es sein, wenn man ohne zu kichern erzählen konnte, man wohne in Kirribilli? Bondis Nachbarstrand zierte eine ähnlich rasante Lautsammlung, der etwas beschwörend Rhythmisches anhaftete: Tamarama. Mit Spitznamen „Glamourama“, weil sich dort, jenseits von Bondis bunten Massen, besonders glamouröse Menschen hinter besonders teuren Sonnenbrillen versteckten. Hieß es. Viel schöner als der Weg dorthin, so überlegte ich beim Gang über die in Jahrtausenden ausgewaschenen Felsvorsprünge, konnten die very important Nachbarn und ihre exklusive Bucht kaum sein. Die beiden Strandstadtteile verband ein Klippenwanderweg, der vermutlich selbst aus Spaziermuffeln wie mir Wandervögel machen könnte. Ich lief vorbei an bizarr ausgewaschenen Felsen, die an Tropfsteinhöhlen-Skulpturen erinnerten. Treppen führten bis runter an gluckernde Wasserbecken voller Muscheln und Krebse. Dann wieder ging der Weg steil bergauf und gab Ausblicke bis weit in die Bucht von Bondi frei. Kleine blaue Vögel stoben durch windschiefe Sträucher zwischen Pfad und Küste. Weiter südlich flirrte die Hitze über ockergelben Steilhängen. Ich streckte mich auf einem der Felsvorsprünge aus, schloss die Augen und hörte der Brandung zu, die weit unter meinen Füßen an die Klippen klatschte – Bondi, der „Klang tosenden Wassers“. Ein schöner Name, fand ich. Im Moment allerdings hörte man eher ein beschauliches Rauschen. Ich setzte mich auf und schaute aufs Meer. Hier hörte ganz abrupt und kompromisslos ein Erdteil auf, fiel sozusagen eine kontinentale Kante ins Wasser. Dieser über 180 Grad umspannende Blick auf Himmel, Meer und Horizont hatte etwas unendlich Offenes und Freies. Zugleich aber machte er mich leicht schwindelig. Jenseits meiner nackten Zehen dehnte sich endlos tiefes Blau aus, darüber eine lichtere Schattierung Hellblau, dekoriert mit ein paar langsam zerplusternden, weißen Kondensstreifen. Sonst bewegte sich nichts, kein Segler glittvorbei, nicht einmal ein einsames Containerschiff schmückte die Symphonie in Blau. Kein Wunder. Hinter diesem Horizont kam einfach ziemlich lange gar nichts. Schösse ich einen imaginären Flitzebogen-Pfeil ab, wäre der schier endlos unterwegs. Mit etwas Schummeln könnte er nach einer Weile den äußersten Zipfel von Neuseelands Nordinsel streifen. Aber dann käme Tausende von Kilometern nichts und dann immer noch nichts und dann irgendwann Chile! Trotz Sonne und warmem Wind schlich mir eine Gänsehaut über den Rücken. Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, mit meiner Freundin in Hamburg eine Flasche Prosecco zu trinken, meinen Lieblingskollegen zu treffen, meine Mutter anzurufen. Wie absurd. In Deutschland war es jetzt gerade – genau, es war vier Uhr nachts. Die Welt war zwar ein globales Dorf und wir alle permanent vernetzt, immer in Kontakt und genial verbunden, aber trotzdem: Das hier war verdammt weit weg. Die Kontinental-Kante kombiniert mit immens viel Horizont und Abschied vom Globetrotter verursachten ein Ende-der-Welt-Gefühl erster Klasse. Puh!
    Ich rappelte mich von meinem warmen Sandsteinlager hoch und schlenderte weiter über den Küstenweg.

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