Ein Jahr in Australien
brachte. Aber das war eine Weile her, undnebenbei war dieser Pazifik vor meinen sandigen Füßen nicht das Handorfer Hallenbad. Ich surfte seit Jahren, aber es gab nach wie vor eine Menge Dinge, die ich nicht über diesen Ozean und seine Tücken wusste.
Christine ließ sich in meinen frisch gefundenen, himmelblauen Korbsessel fallen, machte eine Flasche Chardonnay auf und folgte meinem Bericht über die Bergung des Goldkettchens mit einigen „Oh my Gods!“. Sie war erst entsetzt, dann beeindruckt und wurde zuletzt ganz hibbelig. „Lifesaver“, sagt sie immer wieder, ich müsse Lebensretter werden. Nicht als Job, natürlich, nein: ehrenamtlich. Diesen Monat fing ein neuer Kurs für die „bronze medallion“ an. Da lerne man alle nur denkbaren Tricks und Kniffe zum Retten Ertrinkender. Sie jedenfalls sei felsenfest entschlossen, hinzugehen. Ach, ja? Nun, sie sei nicht unbedingt auf Mund-zu-Mund-Beatmung scharf. Aber erstens habe sie mit dem „chief instructor“ gesprochen, dem Oberausbilder, und der sei geradezu … oh my God, zu entzückend. Außerdem habe sie den Verdacht, dass man als Lebensretter im Sommer am Strand umsonst parken dürfe. Abgesehen davon könne nicht schaden, wenn sie etwas für ihre Fitness tue. „Bronzemedaille? Ehrenamtliche Lifesaverin, meinst Du …?“ Ich hatte nichts gegen Fitness und gute Taten, war aber nur mäßig überzeugt. Meine begeisterungsfähige Freundin redete ganz offenkundig von jenen Leuten, die an den Sommerwochenenden in gelbroten Kappen neben den ebenfalls gelbroten Flaggen standen und auf Badende aufpassten. Ob das nun so meine Sache war?
Ein paar Wochen später saß ich vor dem ausgesprochen hässlichen Ziegelsteinbau vom „North Bondi Surf Life Saving Club“. Dies war einer der beiden Lebensretter-Vereine am Ort, und der andere hatte das eindeutig elegantere Quartier, gleich neben dem gelben Pavillon in der Mitte des Strandes.Aber ich dachte, wenn ich schon im Norden Bondis wohnte, müsste ich wohl auch zum North Bondi Club gehen. Abgesehen davon war hier Chris’ neuer Schwarm Cheftrainer, also saß ich vor seinem Clubhaus auf der Mauer, sah zu, wie sich der Horizont rosa färbte, und sortierte zum x-ten Mal meine Zweifel: lauter braun gebrannte Muskelmänner in sonnenblond und ich? Bestimmt waren alle außer Chris und mir in diesem Kurs höchstens zwanzig. Für Prüfungen pauken – und das auf Australisch? Clubs waren noch nie mein Ding gewesen. Außerdem hatte mir Rob erzählt, dass Lebensretter und Surfer traditionell in eher feindliche Lager gehörten. Letztere, so das gängige Klischee, hielten die Strandwächter für bierfeiste Vereinsmeier, die an den besten Stellen Surfbretter verböten. Über die Rettungsschwimmer wiederum hieß es, sie würden Surfer als disziplinlose, arbeitsscheue und kiffende Freaks verachten. Und da sollte nun ausgerechnet ich an Australiens berühmtestem Sandstück „Baywatch“ spielen? Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter und rief: „Oh my God, ich bin so froh, dass du mitkommst!“ Chris. Ich gab auf. Waren Klischees nicht immer schon dazu da gewesen, überprüft zu werden? Und schließlich wollte ich ja Ertrinkende retten lernen.
Als Erstes lernte ich, dass „Surf Life Saving Australia“ mit einer fast hundertjährigen Tradition eine Art Heiligtum der australischen Kultur war – und von Ausländern geradezu unterwandert. Auf jeden Fall in Bondi: Ein Kursteilnehmer war Ire, einer in Ungarn geboren und einer unserer drei Ausbilder dem Akzent nach zu urteilen Engländer. Auch das Macho-Bild hing schief: In North Bondi, dem, wie ich erfuhr, mit über 1800 Mitgliedern größten Club freiwilliger Strandwächter in New South Wales, seien inzwischen fast halb so viele Frauen wie Männer aktiv. Die Frauen allerdings, so Trainerin Kathy, die eher rundlich und überhaupt nicht blond war, sähen alle aus wie Pamela Anderson. Alles stutzte, dannbrachen wir in Gelächter aus. Humor gab es in diesem Verein also auch. So viel zu den Vorurteilen, ich war erleichtert.
400 Meter in weniger als neun Minuten zu schwimmen war die erste und einfachste Hürde auf dem Weg zum Lebensretter. Zwar war die Temperatur im Meerwasserbecken am Ende des Strandes eisig, aber abgesehen davon war es kein Problem. Nur ein rothariger Junge mit endlos langen Beinen war nach zwölf Minuten im Pool immer noch nicht mit seinen acht Bahnen fertig. Was wahrscheinlich an seiner Technik lag. Er praktizierte Brustschwimmen. Kathy nahm ihn zur Seite und
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