Ein Jahr in Australien
redete ihm zu, es solle doch noch ein paar Monate trainieren und eventuell auch Freistil, also Kraulen üben. Das gehe insgesamt doch schneller. In Australien gab es ein interessantes Phänomen: Man konnte Meister in Delphin sein oder auch olympiaverdächtiger Brust- und Rückenschwimmer – doch über jemanden, der nicht kraulen konnte, hieß es: „Er kann nicht schwimmen.“ Ganz einfach: Nichtschwimmer. Unser Rotschopf also würde erst noch Ian Thorpes Lieblingsdisziplin studieren müssen, ehe er in den Kreis der Kandidaten vorgelassen würde.
Mit dem verbliebenen Rest, bestehend aus zwölf des Kraulens mächtigen Schwimmern, zogen wir zurück ins Clubhaus. Acht Wochen lang sollten wir in diesem Hauptquartier der guten Taten jeden Dienstagabend Theorie studieren und jeden Sonntagmorgen draußen am Strand Ernstfälle mimen und lösen. Ziel war, uns so viel wie möglich über das Meer, seine Risiken und die Lösung brenzliger Situationen beizubringen, sehr fit zu werden, zwei Prüfungen zu bestehen und dann künftig einmal im Monat am Strand für Sicherheit zu sorgen. Ehrenamtlich, in gelbroter Kappe. Meine Freundin hatte recht: Oh my God.
Am ersten Kursabend saßen wir im gruppendynamischen Kreis und mussten erzählen, warum wir eigentlich hier waren. Christine verschwieg die Idee mit dem Parkplatz undden Cheftrainer und sagte ein paar elegant klingende Sätze über „etwas zum Gemeinwohl beitragen“. Ich erzählte von meinem Ertrinkenden, Dan, ein Werber mit durchdringendem Organ pries den Lebensstil am Strand, ein blondes Mädchen sprach von guten Werken und Gemeinschaftsgefühl. Damien, der Ire, und ein paar ohnehin drahtig aussehende Typen murmelten etwas von ihrer verbesserungswerten Fitness. Unsere drei Kursleiter berichteten daraufhin ihrerseits, wie sehr sie die Lebensretterei menschlich und sportlich weitergebracht hätte. Sean, der mit dem englischen Akzent, war am lustigsten: Sogar er als „Pom“, nahm er sich selbst auf den Arm, und strich sich lachend über die stoppelkurzen Haare, habe im Club eine gute Zeit und hier seine besten australischen Freunde kennen gelernt. Das klang doch gar nicht so schlecht. Dann ging es ans Eingemachte, Zettel und Bücher wurden verteilt, Zwischenprüfungs- und Barbecuetermine notiert, und zum Abschluss gab es noch ein paar Inhalte: Wir lernten, das Meer besser zu lesen: wie Flut und Ebbe die Uferzonen an verschiedenen Stränden veränderten, wie Wind, Felsen oder der Meeresboden die Beschaffenheit der Wellen beeinflussten, wodurch eine „rip“ genannte Strömung entstand und wie man sie überlistete. Es war spannend.
Das Sonntagstraining indes begann mit einem Schock: Zum Auftakt und Aufwärmen, so die unblonde Kathy mit den kräftigen Oberarmen, würden wir jedesmal ein „run-swim-run“ absolvieren. Das sei ja am Ende auch Teil der praktischen Prüfung. Ein wie bitte? Ich fand heraus, dass ein run-swim-run – wie der Name andeutete – darin bestand, zu rennen, zu schwimmen und dann wieder zu rennen. Und zwar jeweils 200 Meter über den Sand beziehungsweise raus aufs Meer und zurück und all das in weniger als acht Minuten. Das klang machbar. Wir setzten unsere orangefarbenen Kappen auf, die uns als „Lebensretter im Training“ auswiesen und zogen die Pullis aus. Dieser Septembersonntag war frischund windig, die Wellen brandeten laut und wild in die Bucht. Allein sich durch die Brandungszone zu kämpfen sah nach harter Arbeit aus. Und in der Tat: Es war nicht nur atemraubend, sondern auch verflixt anstrengend. Nach der zweiten Runde des 200-Meter-Rennens ließ ich mich auf den nassen Strand fallen, rieb mir den Sand aus den Augen und schnaufte. Es war Sonntagmorgen, noch nicht einmal Viertel vor neun, und ich absolvierte in einer albernen Kappe „run-swim-runs“ an einem von Böen leer gefegten Strand. Kein Mensch würde mir das glauben.
Bei einem schwer verdienten Kaffee und einer Extraportion Bananenbrot berichtete ich fünf Stunden später über das „run-swim-run“ und unsere Versuche, ein kolossal kräftiges Vereinsmitglied aus dem Wasser zu tragen, ohne dessen vermeintlich verletztes Rückgrat zu bewegen. Außerdem hatten wir diverse Probeläufe mit den schweren Rettungsplanken hinter uns. Ich war erledigt. „Du wirst langsam australischer als die Australier!“ Prinz Rafi, der auf einem kurzen Heimaturlaub weilte, amüsierte sich königlich. Er konnte kaum fassen, dass ich tatsächlich einer von diesen rotgelben Strandathleten werden wollte.
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