Ein Jahr in Australien
Sydney um Ausländer kümmerte, erinnerte mich an einen Flughafen. Nur das Gepäck fehlte. Die in diesem Fall nicht Reise-, sondern Bleibewilligen in allen Hautfarben bevölkerten mehrere Etagen, das Gemisch an Akzenten war unvergleichlich. Und auf den Gesichtern spiegelte sich ebenfalls das breite Spektrum an Gefühlen wieder, das man sonst zwischen Ankunfts- und Abflughalle sah: Vorfreude, Bangen, Hoffen, Angst, Erleichterung.
Menschen aus mehr als 180 Ländern lebten in Australien. Jeder vierte Bewohner von Sydney war nicht hier geboren. Was mit ein Grund dafür war, dass man in dieser Stadt vorzüglich italienisch, französisch, thailändisch, chinesisch, japanisch oder vietnamesisch essen gehen konnte. Wer die richtigen Ecken kannte, konnte sich auch koreanisch, ungarisch, nepalesisch und indonesisch verwöhnen lassen, oder bei Una’s in Kings Cross „Kassler with Sauerkraut“, Franziskaner Weizen und „Jaeger Schnitzel with Rösti“ bestellen. Australien war ein Einwanderungsland. Immer schon. Das bedeutete allerdings nicht, dass es Flüchtlingen oder anderen Bleibewilligen leicht gemacht wurde,Aufenthaltsgenehmigung, Pass oder das Visum mit dem begehrten Vermerk „Bedingungen: keine. Dauer: unbegrenzt“ zu bekommen. Im Gegenteil. Asylbewerber aus Krisenregionen saßen oft jahrelang in politisch umstrittenen Internierungslagern hinter Gittern, bis über ihre Anträge entschieden wurde. Und wer ohne gültige Papiere erwischt wurde, flog innerhalb von sieben Tagen raus. Legal einreisende Luxus-Einwanderer wie ich hatten es natürlich um einiges leichter. Aber auch wir mussten uns an Bestimmungen halten. Besucher, die von Europas offenen Grenzen verwöhnt waren, fanden diese Regeln meist gewöhnungsbedürftig. Mir hatte in der Vorwoche der Bericht eines Journalisten aus Vancouver eine Gänsehaut verursacht. Er hatte ihn veröffentlicht, nachdem er aus Villawood entlassen worden war, Sydneys berüchtigtem Abschiebeknast. Tatsächlich hatte er über zwei Wochen dort gesessen, ehe sein Fall verhandelt und er auf Nimmerwiederkehr ausgeflogen wurde. Der Reporter schrieb, er hatte schlicht nicht daran gedacht, sein Visum verlängern. Nun ja, über zwei Jahre immerhin, das war schon eine langwierige Vergesslichkeit. Aber dennoch, man wusste nie. Ich war nervös.
Sachbearbeiterin Rose musterte mich durch die Glasscheibe ihres Schalter streng, blätterte noch einmal in ihren Akten, starrte wieder auf den Bildschirm ihres Computers. Eine halbe Ewigkeit später schüttelte sie den Kopf, runzelte die Stirn und strich einen frischen Aufkleber in meinem Pass glatt. Ich atmete tief durch. Puh, erst mal war ich für eine Weile aus dem Schneider.
Am nächsten Morgen brummte es auf der Straße, als ich mir, später als üblich, den Schlaf aus den Augen rieb. Der neue Stempel im Pass hatte gefeiert werden müssen, und das war etwas außer Kontrolle geraten. Aber ganz abgesehen von dem leichten Pochen in meinen Schläfen fühlte sich auch da draußen irgendetwas nicht gut an. Ich blinzelte ins grelle Licht. Vor meinem Fenster zogen Horden von Menschen inShorts und kurzen Hemden über bleicher Haut von links nach rechts. Hüte, Boogie Boards, Schirme, Klappstühle, Kinderwagen und und Handtücher wurden eindeutig Richtung Strand geschafft. Kolonnen von Parkplatz suchenden Allradwagen kurvten um den Block. Ich schob die Fenster etwas weiter auf und ließ einen Schwall warme Luft in die Wohnung. Hui. Ja, sicher, es war deutlich über 25 Grad, es war ja auch seit Tagen offiziell Frühling. Auf das, was sich zwei Kaffees später beim Surfcheck meinen müden Augen darbot, war ich trotzdem nicht vorbereitet: Über Nacht musste jemand heimlich den Schalter auf „Sommer“ umgelegt haben. Pling!
Der Strand sah aus, als seien längst große Ferien: Kinder, zu Kopfhörern summende Teenager, Mütter, Väter, Paare aus allen Vororten Sydneys. Dazwischen Taschen, Handtücher, Sarongs, Bücher, Zeitungen, Babyzelte. Keine einzige Welle brach sich, das Meer machte kobaltblau auf „Lake Pacific“. Natürlich hatte das Wasser noch die gleiche Temperatur wie vor ein paar Tagen, als noch Winter war. Deshalb badete die Mehrheit der Massen nicht im Meer, sondern in der Sonne. In ein paar Stunden würden die ersten rosa Streifen die Bikini-Oberteile umranden, rot verbrannte Nasen unter Zinksalbe verschwinden. Es roch nach Sonnenöl und Burger mit Fritten, und die Baristas malten vor lauter Hektik keine anständigen Herzchen mehr in den
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