Ein Jahr in Australien
Milchschaum. Ah, wo war mein leiser, menschenleerer Bondi-Winter geblieben? Ich trauerte eine Weile dem vom Wind glatt gewehten Strand nach, auf dem die deutlichsten Spuren die der Möwen waren. „Such is life“, sagte ich besänftigend zu mir selbst, und langsam ließ auch das Pochen in den Schläfen nach. Von nun an würde ich mein kleines Paradies eben wieder teilen müssen. Nicht mehr als recht und billig. Aber als abends endlich die letzten der aufgespoilerten Krachmacher-Autos mit ihren tieferliegenden Seitenteilen „meinen“ Vorort wieder inRichtung ihres eigenen Vorortes verlassen hatten, atmete ich trotzdem auf. Jen tröstete mich: „Keine Sorge, ganz so weit ist es noch nicht. Im Frühling ist alles möglich: Hitze, Hagel und richtig kühle Tage.“ Natürlich behielt meine weise Nachbarin recht.
Eine quirlige Wetterfront irgendwo draußen auf dem Pazifik brachte interessante Wellen. Eigentlich waren sie eine Spur zu groß für mich, aber auch wirklich faszinierend. Manchmal, überlegte ich, musste man eben seine Grenzen überschreiten, und paddelte ein Stück weiter raus. Wenige Minuten nach diesem klugen Gedanken tauchte ich wieder auf: nach Luft schnappend nach einem Extragang in der auch Waschmaschine genannten „wipe out zone“. Guter Start, schlechte Landung. Kann passieren. Ich paddelte noch mal nach draußen und wunderte mich über einen Typen, der ohne Neoprenanzug im Wasser war. Es war ein schöner Tag, aber so warm nun doch nicht. Dann sah ich, dass er auch kein Surfbrett hatte. Er trug nicht mehr als eine Badehose und eine blitzende Goldkette und ruderte ausgesprochen ungelenk mit den Armen. Albern sah das aus. „You’re o.k.?“, rief ich trotzdem und paddelte auf ihn zu. „No!“, kam es kläglich zurück. Kein Wunder. Der Kerl steckte mitten in jener Strömung, die sie in Bondi „Backpacker-Express“ nannten: Weil sie gegenüber der meisten Rucksack-Hotels am Südende des Strandes lag, weit jenseits der sicheren Badezone, und weil sie mit Tempo aufs Meer zog. Perfekt für Surfer auf dem Weg hinter die Brandungszone. Völlig ungeeignet für Schwimmer auf dem Weg Richtung Ufer. Ich paddelte dem Mann entgegen und sah, dass sein Geruder nicht unbedingt albern war. Er war schlicht am Ende. Wie eine Falle schnappte er zu, als ich mich neben ihm auf meinem Surfbrett aufsetzte. Er umklammerte meinen Arm, japste, die Augen weit aufgerissen. Ich versuchte, ihn auf mein Board zu hebeln, aber ohne Erfolg. Der Kerl war schwer und mein Surfbrett keineRettungsinsel. Außerdem hatten diese Wellen mir ein paar Augenblicke zuvor selbst noch gehörigen Respekt eingeflößt. Ich packte die Hand des Typen, rutschte ab und schaffte dann endlich, ihn quer übers Brett zu ziehen. Mein panischer Fang beruhigte sich ein bisschen und ich winkte dem Rettungsschwimmer am Ufer zu. Wie der es schaffte, kaum eine Minute später neben mir zu sein, war mir schleierhaft, aber ich war ihm unendlich dankbar. „Hi mate, good work“, hörte ich, dann hebelte er den Typen mit ein paar Handgriffen auf sein breites, blaues Rettungsboard, legte sich selbst dahinter und paddelte seine Fracht Richtung Strand. Ich brauchte auch eine Verschnaufpause. Mit wackeligen Knien balancierte ich auf einer Weißwasserwalze an Land, wo mein nasser Goldkettchen-Fang leicht verdattert von dannen tapste. Der Lifeguard hatte mich kommen sehen und wartete. Er verstaute sein Rettungsboard in den Halterungen am Strand, wrang sein Shirt aus und bedankte sich lässig: „Thanks mate, that was great!“ Dann schüttelte er meine Hand, was mir fast etwas peinlich war. Ich zuckte mit den Schultern, „hm, well … schon o.k.“ Insgeheim war ich völlig anderer Meinung. Diese Aktion war gar nicht großartig gewesen. Um ein Haar wäre der Mann ertrunken und ich vermutlich gleich mit ihm.
Die anderen Surfer ritten weiter die seit Wochen besten Wellen. Mir war die Lust vergangen. Ich lehnte mich im Sand zurück und ließ mich von der Sonne trocknen. Allmählich kehrte mein Puls auf eine normale Frequenz zurück. Nein, das war nicht genial gewesen. Dann überlegte ich, was ich beim nächsten Mal besser oder anders machen würde. Viel fiel mir nicht ein. Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit lernen, wie man Leute vor dem Ertrinken rettete? Nicht irgendwie mit Biegen und Zerren und Glück, sondern anständig. In der Schule hatte ich mal eine silberne DLRG-Nadel bekommen. Und vorher den entsprechenden Kurs absolviert, vor allem, weil das Punkte
Weitere Kostenlose Bücher