Ein Jahr in Lissabon
Mannschaft, die 1984 gegründet wurde, unschlagbar, weil frischer ist. Im Klartext heißt das: Sporting – auch die Löwen genannt – und Benfica, die Adler, sind Rivalen bis aufs Messer, und bei den Spielen ist Krawall garantiert, ja, beim letzten Spiel wurde gar ein Feuer im Stadion entfacht. „Demasiado perigoso – zu riskant“, hatte Victor gesagt, und damit war das Thema erledigt. Deshalb also gehen wir heute nicht zu Sporting gegen Benfica, sondern zum Viertelfinalspiel des UEFA-Cups, in dem Sporting Lissabon gegen Metalic Kharkiv antritt.
An der Metro-Station im Chiado begrüßt mich Victor in Grün-Weiß. Er trägt ein grün-weiß-geringeltes T-Shirt und hat einen grün-weißen Schal umgehängt, auf dem zu lesen ist: „Sporting – Até morrer!“ Bis zum Tod. Victor ist seit der Gründung von Sporting erklärter Fan, aber Victor ist ein Verräter. Früher war er nämlich bei Benfica, doch, so sagt er, es sei ihm aufgezwungen worden, seine Eltern hätten ihn schon als Säugling ins Benfica-Stadion geschleppt. „Genau, Benfica hat nur deshalb so viele Fans, weil die in der Statistik die Babys mitzählen“, pflichtet der Mann neben uns bei, der ebenfalls in Grün-Weiß U-Bahn fährt. Und dann gehen Victor in Grün-Weiß und der Mann in Grün-Weiß dazu über, so ausfallend über Benfica zu schimpfen, dass mein Wortschatz kapituliert.
Ich habe es noch nicht gewagt, Victor zu beichten, dass ich von Fußball nicht viel verstehe. Ich weiß, dass elf, nein, zweiundzwanzig Männer einem Ball hinterherrennen, aber ich weiß nicht, warum sie das tun. Jetzt wäre allerdings auchein schlechter Zeitpunkt, Victor danach zu fragen, denn er hat gerade angefangen, mit mir den Fan-Song von Sporting einzustudieren: „Aiaiaiaiii, aiaiaiaiii, aiaiaiaiii, o Sporting é o nosso grande amor!“ Solchermaßen skandierend steigen wir am Campo Grande aus, auf dem das Stadion wie ein riesiges, knallig grün-gelbes Ufo kragt. Mehrere Handvoll Fans ergießen sich bereits über die Treppenstufen und glühen mit Bier und Hotdogs vor, alle Altersstufen und Schichten gemischt. Dort ein älterer Herr im Anzug, da ein kleiner Junge an der Hand seines Vaters. „Um cachecol por 5 Euros, um cachecol por 5 Euros!“, ruft eine alte Dame und hält grün-weiße Schals zum Verkauf bereit. Wir passieren die Ticketkontrolle und steigen unzählige Treppen empor, weil wir ganz oben auf den billigsten Plätzen sitzen – und auf den besten! Was für eine Aussicht! Das Stadion liegt uns zu Füßen – und nun, da ich sehe, dass ein Fußballfeld ebenfalls grün-weiß strukturiert ist, wird mir klar, welch durchdachtes Raffinement hinter dem Trikotdesign der Sportings steckt.
Die ersten Spieler betreten den Rasen, um sich aufzuwärmen. Damit die Fronten klar gezogen sind und die paar versprengten Metalic-Fans in der Ostkurve erst gar nicht auf die Idee kommen, frech zu werden, werden die gelbviolett gekleideten Ukrainer mit Buh-Rufen und die Sportings mit emphatischer Begeisterung empfangen. Der Moderator streift durch die Reihen und lässt sich von den Fans Einschätzungen für den Spielverlauf geben: 10 : 0 tippt ein kleines Mädchen, woraufhin Jubel durch die Reihen brandet! Genau, 10 : 0 für unsere Mannschaft! A nossa equipa! Tudo é possível – alles ist möglich! Nur noch fünf Minuten bis zum Spielbeginn. Noch ein Gebet, alle halten ihre Schals über den Kopf – und dann der Anpfiff, das Spiel ist eröffnet! Vamos lá! Los geht’s!
Victor ist in Fahrt. An ihm ist ein Sportreporter verloren gegangen, so viel steht fest. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, dass ich irgendetwas von diesem Spiel nicht verstehe, es wird alles kommentiert. Doch im Moment gibt es nicht viel zu verstehen, denn das Spiel dümpelt vor sich hin, die portugiesischen Löwen wirken verschlafen und konzeptionslos, dramatisieren jedes kleine Foul zur großen Oper, es mangelt an Ballkontakt und gemeinsamer Strategie. Wohingegen die Ukrainer eine starke Abwehr haben. „Was machen die da?“, schimpft Victor über seine Équipa. „Estão a dormir, os mandriões! Die pennen, die Schlafmützen!“ Auch Trainer Ricardo Sá Pinto ist unzufrieden, tigert, die Schultern hochgezogen und die Hände in den Hosentaschen vergraben, am Rand des Spielfelds entlang und faucht seine Mannschaft an. Dann ein Foul von Sporting, gelbe Karte vom Schiedsrichter. Pfeifkonzert der Sportingistas. „Buuuuh!“ Na also, wusste ich’s doch: Auch Portugiesen können laut werden. „Não
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