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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
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schieben sich im Zeitlupentempo zwischen den Menschenmassen voran. Es gibt die gleichen Geschäfte wie in jeder anderen europäischen Großstadt, aber in London ist alles dreimal so groß wie in anderen Citys. Schon allein sich durch H&M durchzuarbeiten, kostet uns weit mehr als eine Stunde, und als ich mal wieder erfolglos aus der Umkleidekabine zurückkehre, überkommt mich langsam ein Panikgefühl. Nächste Woche schon ist der große Tag und ich habe noch nicht mal ein Kleid, von Schuhen und Hut gar nicht zu reden.
    Ich probiere sämtliche Kollektionen aller Läden der Oxford Street an, doch Maddie schüttelt immer nur mit dem Kopf.
    „Zu auffällige Farben.“
    „Nicht elegant genug.“
    „Zu kurz.“
    „Das sieht aus wie ein Müllsack.“
    Es lässt sich nicht ableugnen: Was auch immer ich anprobiere, ich sehe nicht mal ansatzweise aus, als würden mich die königlichen Guards so in den Palast hineinlassen.
    Gegen drei Uhr gebe ich mit Tränen in den Augen auf und wir nehmen die U-Bahn Richtung Tufnell Park, wo sich Maddies Wohnung befindet.
    „Was du brauchst, ist eine gute Tasse Tee“, sagt Maddie bestimmt, als wir erschöpft in ihrer Küche sitzen.
    Die englische Angewohnheit, jeden Tag um die acht Tassen Tee zu trinken und diesen dann auch noch mit Milch zu verdünnen, kommt den meisten Nichtbriten sehr merkwürdig vor. Wer will schon den delikaten Geschmack von Tee völlig mit Milch verdecken? Doch wer jemals englischen Tee ohne Milch getrunken hat, versteht sehr schnell, warum.
    Für die Engländer ist eine Tasse milchigen Schwarztees das Wundermittel für seelische Probleme jeglicher Art. Du hast Liebeskummer? Have a cup of tea. Dir ist soeben gekündigt worden? Have a cup of tea . 200 Millionen Tassen werden in Großbritannien jeden Tag getrunken, was bedeutet, dass jeder Engländer durchschnittlich zwölf Tassen Tee trinkt – alle zweiStunden eine. Vielleicht liegt es an dem meditativen Schlürfen und der beruhigenden Wärme – was auch immer der Grund sein mag, die besten Ideen scheinen den Briten bei einer Tasse Tee einzufallen.
    Und so muss Maddie auch nur ein paar Schlucke nehmen, bis sie den rettenden Einfall hat: Gleich um die Ecke gibt es einen riesigen Theaterverleih mit Hunderten von altmodischen Kleidern, Hüten und allem Drum und Dran.
    In ein paar Minuten finden wir uns in einem modrig riechenden Laden wieder, dessen Besitzer uns über seine winzige Brille hinweg begutachtet. Ich berichte ihm von meinem Problem, worauf er uns bedeutet, ihm in den Hinterraum zu folgen. Dort steht eine kleiderbehangene Stange neben der anderen.
    „Wir kleiden oft Ladys für königliche Anlässe ein, Sie sind also in den besten Händen, Ma’am .“
    Ma’am bin ich noch nie vorher genannt worden, und ich denke mir, dass jemand, der sich so vornehm ausdrückt, sicherlich Bescheid weiß in so Sachen wie königlichen Empfängen. Er holt dann auch zielsicher gleich mehrere Outfits heraus, die, so bin ich mir sicher, ich schon in einigen Jane-Austen-Verfilmungen gesehen habe.
    „Zieht man denn so was tatsächlich bei solchen Gelegenheiten an?“, frage ich unsicher.
    „Of course, Ma’am.“
    Gleich das erste Kleid, das ich anprobiere, ist nicht schlecht. Dank der Rüschen und des Rauscherockes fühle ich mich wie ein Extra aus „Drei Nüsse für Aschenbrödel“. Und einen tollen Hut gibt es gleich passend dazu.
    „Wie sehe ich aus?“
    In dem Halbdunkel des Raumes kann man nicht viel sehen, aber Maddie meint, erkennen zu können, dass es genau das richtige Outfit für meine Bedürfnisse sei. Der Besitzer findet noch ein paar dezente, aber elegant aussehende Schuhe dazu, und dann gebe ich ihm eine Vorauszahlung und reserviere alles für den 17. März. Es ist geschafft!
    Das Ganze kostet mich 80 Pfund, wofür ich in einigen Geschäften gleich vier Kleider hätte kaufen können, aber wenigstens werde ich in angebrachter Garderobe im Buckingham Palace erscheinen.
    Und ich komme noch billig weg, denn Eileen, so berichtet sie mir aufgeregt am Morgen des 17., hat ganze 200 Pfund für ihr Kostüm ausgegeben, ein Drittel ihres Monatgehaltes.
    Aber dafür sieht sie jetzt auch haargenau wie Camilla aus, worauf ihr Nachbar und Begleiter, Mr Thomson, sie stolz hinweist. Die beiden haben den Frühzug von Manchester nach London genommen und stehen jetzt strahlend vor unserer Haustür.
    Elli amüsiert sich köstlich über mein Outfit, das ich am Vortag vom Theaterverleih abgeholt habe.
    „Du siehst aus, als wärest

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