Ein Jahr in London
House of Hannover und so weiter.“
Ich kann Ellis Idee gar nicht so ganz ernst nehmen, schließlich kenne ich Ellis Mum dann doch nur sehr flüchtig, und wieso sollte sie gerade mich zu ihrer Ehrung in den Palast mitnehmen. Aber verlockend ist der Gedanke schon. Bis auf die Garden Partys , die die Queen jedes Jahr in den Parkanlagen des Palastes gibt und zu denen jeweils 8000 Briten aller Klassen und Berufe eingeladen werden, hat man sonst als Normalbürger niemals die Chance, in Anwesenheit der Queen in das Innere des Palastes zu kommen. In den Sommermonaten, die die Königin in ihrer schottischen Residenz, in Balmoral Castle, verbringt, sind zwar einige Räume für einen unverschämt hohenEintrittspreis zu besichtigen, aber natürlich ohne die Anwesenheit der Hauptdarstellerin.
„Also? Was hältst du davon?“
Sich für die Royals zu interessieren, ist nicht etwas, was eine Durchschnitts-Engländerin meines Alters so schnell eingestehen würde, aber ich finde, eine Einladung in den Buckingham Palace kann man nicht so einfach ausschlagen. Das Königshaus ist und bleibt nun mal, ob man es mag oder nicht, ein wichtiger Bestandteil Großbritanniens. Die Regierung? Her Majesty’s Government . Die Post? Royal Mail . Die Armee? Royal Navy , Royal Air Force und Royal Artillery . Gefängnisse? Her Majesty’s Prisons ! Und auf jedem Brief, den man abschickt, prangt auf der Briefmarke das weltweit bekannte Profil der Königin.
„Klar bin ich dabei!“
„Dachte ich mir schon fast. Ich verstehe zwar nicht, weshalb so viele Ausländer von unserer Queen so fasziniert sind, aber wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass ihr selber keine mehr habt und euch deshalb die Zeremonien und der ganze Prunk noch exotischer vorkommen. Wenn ihr selber mit euren Steuern das Leben dieser Familie mitfinanzieren müsstet, würdet ihr sie wohl auch mit anderen Augen sehen.“
Elli zögert nicht lange, bevor sie die Nummer ihrer Mum wählt und der ihren grandiosen Einfall mitteilt. Ich stehe gespannt neben ihr am Telefon. Dann kommt die Bestätigung: Ellis Mutter ist von der Idee tatsächlich angetan. Ich werde also in drei Wochen im Buckingham Palace die Queen treffen!
Mein Ansehen bei Elli ist dank meiner Begeisterung leicht geschrumpft, dafür ist sie aber umso dankbarer, nicht selber im Königspalast erscheinen zu müssen und jede Selbstachtung zu verlieren.
Und in der kommenden Woche fange ich an zu verstehen, weshalb. Denn es geht ums Outfit. Und da ich bisher weder jemals an einer königlichen Festlichkeit teilgenommen noch mich sonstwie für die Aristokratie interessiert habe, habe ich keinerlei Ahnung, was man an so einem Tag trägt.
„Na halt Kleider, wie die Queen sie selbst immer an hat. Du weißt schon, babyrosa, 40er-Jahre-Look, Gesundheitsschuhe ...“, meint Elli.
„Und auf jeden Fall blauen Lidschatten.“
„Ich will doch nicht wie die Queen aussehen, sondern wissen, was man bei einem Besuch bei ihr trägt.“
„Das ist ein und dasselbe. Und ohne Hut darfst du dort auf keinen Fall auftauchen.“
„Hut?“
Langsam fange ich an, mir Sorgen zu machen. Bis zum nächsten Pay Day ist es noch lange hin, und viel Geld ist nicht auf meinem Konto. Für ein mehrere hundert Pfund teures Designer-Outfit fehlen mir die Mittel. Die Lösung? Natürlich Felice. Als stilvoller Italiener, und Kleidungsverkäufer noch dazu, wird er sicherlich wissen, wo ich ein geeignetes Gewand ersteigern kann.
„Mamma mia, Anna, die Queen! Da müssen wir uns etwas ganz Besonderes einfallen lassen.“ Er läuft lange eine Zigarette nach der anderen rauchend in seinem Zimmer auf und ab, redet auf Italienisch vor sich hin und zieht dann ein paar 70er-Jahre-Hosen und Plateauschuhe aus seinem Schrank.
„Ich gehe doch nicht auf eine Retro-Party, ich gehe in den Buckingham Palace!“
Felice findet ein ungeeignetes Kleid nach dem anderen, bis ich den Glauben an seine Urteilskraft verliere und ihm erkläre, dass ich mich doch erst mal in der Oxford Street umgucken werde.
Zusammen mit meiner Kollegin Maddie ziehe ich am nächsten Samstag in aller Frühe los, in der Absicht, nicht ohne Königspalast-taugliches Outfit nach Hause zu kommen.
Selbst um neun Uhr morgens brodelt die Oxford Street schon voller Betriebsamkeit: Die ersten Einkäufer drängeln sich an gestressten Büroarbeitern auf dem Weg zur Arbeit vorbei, Jugendliche drücken Passanten Werbeblätter für Englisch-Sprachkurse in die Hand und die schwarzen Taxis undDoppeldeckerbusse
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