Ein Jahr in London
gekündigt. Bist du sicher, du willst dir das nicht noch einmal überlegen?“
März
„Nein, Mum, du kannst sagen, was du willst, ich komme nicht mit.“
Elli läuft in ihrem Zimmer auf und ab und spricht ungeduldig in den Telefonhörer hinein.
„Du hast doch bestimmt Hunderte von Bekannten, die nichts lieber tun würden, als dort mal hinzugehen.“
Elli hört schweigend zu, dann nickt sie verärgert.
„Na, eigentlich überrascht mich das gar nicht. Wenigstens haben sie Geschmack.“
Als sie das Gespräch beendet, ist Elli sauer.
„Stell dir mal vor, jetzt will sie mich nach Buckingham Palace mitschleppen!“
„Na ja, den muss man sich doch schon mal angeguckt haben“, versuche ich sie zu besänftigen.
„Nein, nein, du verstehst nicht.“ Sie fährt sich fluchend durch die Haare.
„Ich soll mit zur Queen. Ich soll die Queen treffen und am Festmahl teilnehmen. Als ob –“
„Die Queen ?“, unterbreche ich sie. „Die richtige Queen, Königin Elizabeth?“
„Königin Elizabeth die Zweite“, wiederholt Elli verächtlich. „Genau die. Und jetzt weint Mum, weil ich mich weigere, mitzukommen.“
Der Gedanke, sich darüber zu streiten, ob man ein Festmahl mit der Queen einnehmen soll oder nicht, kommt mir so absurd vor, dass ich erst mal nur lache.
„Witzig finde ich das eigentlich gar nicht“, bemerkt Elli darauf gekränkt und erklärt mir dann immer noch sehr aufgebracht die folgende Situation.
Eileen, Ellis Mutter, arbeitet schon seit über dreißig Jahren als Gefängnisaufseherin und kümmert sich dabei besonders um alkohol- und drogensüchtige junge Kriminelle. Selbst nach deren Entlassung bleibt sie oft mit ihnen in Kontakt und hilft ihnen bei der Wohnungs- und Jobsuche. Dafür soll sie jetzt von der Queen mit einem MBE, das heißt mit einem britischen Verdienstorden, ausgezeichnet werden. Der ist zwar noch einige Stufen unter dem Ritterschlag, dessen Empfänger sich anschließend Sir oder Lady nennen dürfen, aber immerhin wird man zum Member of the British Empire ernannt. Dass es eigentlich gar kein britisches Empire mehr gibt, scheint niemanden zu stören. Ausgezeichnet werden jedes Jahr eine kleine Auswahl von Leuten, die einen großen Beitrag zur Wohlfahrt des Vereinigten Königreiches geleistet haben, und zwar in einer feierlichen Audienz im Buckingham Palace, bei der ihnen die Queen persönlich eine Medaille überreicht.
Ich bin höchst beeindruckt. Und selbst einer so ausgeprägten Monarchie-Gegnerin wie Elli hätte ich nicht zugetraut, überhaupt kein Interesse an einem solchen Abenteuer zu zeigen. Wenigstens könnte sie ihre Mutter des Festessens wegen begleiten, so würde ich das jedenfalls sehen. Doch noch als ich das denke, höre ich die Musik, die gerade aus Ellis Zimmer dröhnt: „God Save the Queen“ – von den Sex Pistols.
„Du gehst also auf keinen Fall mit?“
„Niemals.“
Ich bin ziemlich enttäuscht, denn schließlich hatte ich mich schon auf den neusten Klatsch und Tratsch direkt aus dem Palast gefreut.
„Und deine Mutter kann sonst niemanden finden, der mitkommen will? Das kann doch nicht wahr sein.“
„Grandma ist im Krankenhaus, Grandpa geht’s auch nicht gut, und die anderen Verwandten haben keine Lust, deshalb eine solche Weltreise in den tiefen Süden anzutreten. Dafür müssten sie schon persönlich von Prinz William per Kutsche abgeholt werden. Nur ihr Nachbar, Mr Thomson, hat zugesagt.Aber sie hat Karten für zwei Gäste und will natürlich nicht eine in den Müll werfen.“
„Vielleicht kann sie die Karte bei eBay versteigern. Stell dir vor, wie viel Geld irgendein steinreicher amerikanischer Tourist für so eine Gelegenheit bezahlen würde!“
„Nein, nein, das geht nicht. Da gibt es bestimmt irgendein Gesetz gegen.“ Dann verzieht sich Ellis düsterer Blick plötzlich in ein Lächeln.
„Ich hab’s!“
Ich schaue sie erwartungsvoll an.
„Weshalb mir das nicht vorher eingefallen ist!“
„Was denn? Spuck’s schon aus.“
Sie grinst mich von der Seite an und sagt dann beschwörend:
„Du! Du wärst die ideale Begleitung! Meine Mutter war Weihnachten ganz begeistert von dir, weil du anders als wir so viel beim Kochen mitgeholfen hast, und außerdem besteht bei dir anders als bei Granny und Grandpa nicht die Gefahr, dass du während des Festmahles einschläfst.“
„Fest versprechen kann ich das auch nicht“, sage ich nachdenklich.
„Oh, und die Royals sind sowieso alle mehr oder weniger deutsch, da passt du gut dazu.
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