Ein Jahr in London
Bahn geraten sind, geredet, und Camilla ...‘“
Am Ende ihrer langen Erzählung seufzt sie. „Aber die Queen selber hätte ich doch auch so gern mal persönlich kennengelernt.“
April
Der Frühling ist gekommen und es wird sogar richtig warm; über 20 Grad ist es am ersten Aprilwochenende und von Aprilschauern weit und breit keine Spur.
„Nice weather, isn’t it?“ , frage ich also Miss Miller zur Begrüßung, ganz so, wie wir es damals im Englischunterricht gelernt haben.
„ Well, quite nice, yes .“
„It is actually.“
„It is. Absolutely.“
„Isn’t it?“
„ Oh it is . Aber wie lange das wohl anhält?“
Der schlechte Ruf, den das englische Wetter im Ausland hat, ist eigentlich unverdient. Natürlich regnet es relativ oft, doch nicht häufiger als in München, Köln oder Paris. In London und dem Rest Südostenglands gibt es sogar regelmäßige Trockenperioden, in denen der Wasserverbrauch stark eingeschränkt wird. Nur reden die Engländer mehr über das schlechte Wetter als andere Völker. Wenn es nicht zu nass ist, ist es zu heiß, zu trocken oder zu windig. Und wenn es dann mal einfach perfekt ist, so wie heute, dann ist das einfach unerträglich und man klagt stattdessen über die unvermeidliche Kurzlebigkeit dieser Schönwetterphase und die Regenwolken, die sich mit Sicherheit bald am Horizont zeigen werden.
„Ich habe gehört, morgen soll es schon ganz anders werden“, fügt Miss Miller dann auch schnell hinzu. Doch sie hat Unrecht. Es kommt und kommt kein Regen und die Blumen sprießen um die Wette.
Und schönes Wetter plus Osterferien bedeutet: Besuch aus Deutschland. Wobei leider nicht die Rede von Freunden undVerwandten ist, deren Besuch mich natürlich immer hoch erfreut, sondern von der immer länger werdenden Liste von Leuten, die mir von meinen Freunden im Laufe des Jahres vorbeigeschickt werden.
„Entschuldige, aber meine kleine Cousine aus Cuxhaven ist übernächstes Wochenende in London und sie ist ja Studentin und hat gar kein Geld, kann sie wohl ein paar Nächte bei dir übernachten?“
„Mein Nachbar ist demnächst eine Woche in London und weiß nicht, was er allein alles unternehmen kann. Kannst du dich ein bisschen um ihn kümmern?“ Was ich natürlich alles trotz der Enge meines Zimmers schlecht ausschlagen kann.
Und so soll heute um ein Uhr Karmen, die Freundin meines Bekannten Stefan, bei mir eintreffen, der mir vergewissert hat, dass sie sehr umgänglich sei und mir sicherlich keine Probleme bereiten werde. Um halb zwei klingelt mein Telefon: Karmen wartet an der Chalk Farm Tube Station auf mich.
Bis auf eine kurze Klassenfahrt vor vielen Jahren, erzählt sie mir auf dem Heimweg, war sie noch nie in London, und ist jetzt ganz hingerissen von den schönen Häusern und der Atmosphäre. Die Kirschbäume, die die Straße säumen, sind in voller Blüte und trotz noch kühlen 18 Grad sitzt ganz Primrose Hill draußen vor den Häusern und Cafés, während die ersten Männer sich schon mit nacktem Oberkörper in den Biergärten sonnen. Morgen wird ganz London krebsrot sein.
Auch von meinem Zimmer ist Karmen trotz der Enge sehr angetan.
„Das ist doch herrlich hier!“, ruft sie aus und geht gleich auf den Balkon. „So schön altmodisch!“ Sie zeigt auf den blümchengemusterten Teppich und den grünen Ohrensessel.
„Dieses ganze Retro-Mobiliar muss dich aber viel gekostet haben.“
„Oh ja, ziemlich viel“, pflichte ich ihr bei.
Nachdem sie sich von ihrer Anreise ausgeruht hat, zeige ich Karmen etwas von meinem Londoner Alltag. Und ein paarSehenswürdigkeiten natürlich, denn an denen kommt man in London beim besten Willen nicht vorbei. Schon der Weg zur U-Bahn-Station führt uns an den Häusern der Dichter Sylvia Plath und W. B. Yeats vorbei, die mit einer runden, blauen Plakette gekennzeichnet sind. Jude Laws Haus erwähne ich natürlich auch, obwohl der noch keine blaue Plakette an seinem Haus hat. Die gibt es erst nach dem Ableben.
„Können wir nicht wenigstens kurz durchs Fenster gucken?“, Karmen lässt sich kaum weiterbewegen.
Ich schaffe es, sie ins Caff , das englische Café in der Nähe der U-Bahn-Station, zu schleifen. In dem gibt es aber herzlich wenig Kaffee, sondern das berühmt-berüchtigte englische Frühstück, das man hier den ganzen Tag über essen kann.
Das englische Frühstück, bestehend aus Schinken, Spiegeleiern, Pilzen, Tomaten, gebackenen Bohnen, Würstchen und halbverkohlten Toastscheiben, zentimeterdick mit Butter
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