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Ein Jahr in London

Titel: Ein Jahr in London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Regeniter
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ihm vorbeizuschauen, und dann verabschieden wir uns.
    Während wir Richtung Süden weiterlaufen, frage ich Karmen, was ihr bisher am meisten an den Londonern aufgefallen sei.
    „Niemand schaut einen an! Man könnte meinen, man wäre ein Gespenst!“
    Ich stimme ihr zu, die Engländer mögen keinen Blickkontakt mit Fremden, doch wird gerade dies als polite und freundlich angesehen. Doch ich wünschte, Karmen selber würde etwas mehr Blickkontakt mit den englischen Autofahrern suchen, denn während wir uns unterhalten, rette ich sie mehrere Male vor dem sicheren Tod, als sie, in die falsche Richtung schauend, direkt in die Fahrbahn eines Taxis laufen will. Die meisten Straßenüberwege haben extra spezielle Anweisungen für die Touristen – „Look Left“ oder „Look Right“ steht da in großen, weißen Buchstaben direkt auf der Fahrbahn –, aber Karmen ist zu beschäftigt, sich die schönen Häuser und Schaufenster anzuschauen, als dass sie den Boden unter sich nach Anweisungen untersuchen könnte.
    Wir schaffen es dann aber doch, lebend den auf der Nordseite der Themse verlaufenden Boulevard des Embankment zu überqueren, und wechseln dann auf der Hungerford Bridge auf die Südseite der Stadt über. Vor uns ragt das London Eye in den Himmel.
    Das Eye, zur Jahrtausendwende zwischen der Westminster und der Waterloo Bridge gebaut, ist das zweithöchste Riesenrad der Welt und wird nicht umsonst von einer Fluggesellschaft gesponsert, denn einmal am höchsten Punkt angekommen könnte man meinen, man befände sich tatsächlich in einem Flieger, so klein liegt die Stadt unter einem.
    Karmen findet das toll, ich eigentlich gar nicht, denn ich habe schreckliche Flugangst.
    Bisher hatte ich immer Glück und die Schlangen vor dem Metallkoloss waren so lang, dass ich das Besteigen des Eye vermeiden konnte, wenn mich Freunde zu einer Fahrt überreden wollten. Heute jedoch ist es neblig und die anderen Touristen zögern bei so schlechter Sicht, den Preis zu zahlen. Karmen will sich den Blick von oben auf die Stadt aber auf keinen Fall entgehen lassen und so besorgen wir uns also im Häuschen nebenan Tickets und warten in der Schlange neben der riesigen weißen Stahlkonstruktion.
    Die großen Glaskapseln, in die 25 Leute reinpassen, drehen sich so langsam, dass deren Bewegung kaum wahrnehmbar ist. Als wir nach viertelstündiger Wartezeit am Anfang der Schlange angekommen sind, winkt uns einer der Angestellten zu, wir werden in Grüppchen eingeteilt und dann klettern wir schnell rein, denn die Gondel hält nicht an, und im Zeitlupentempo bewegen wir uns aufwärts. Die Kapsel ist fast vollständig aus Glas und ich setze mich zitternd auf die Bank in der Mitte und staune über die meterdicken Nieten, die uns in der Luft halten.
    Als man dann aber trotz Nieselregens auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses von oben auf die Houses of Parliament, Big Ben und Whitehall, den Regierungsbezirk Londons, schaut, vergesse ich schnell meine Angst.
    „Guck mal, da ist die Tower Bridge!“, ruft Karmen aufgeregt, und tatsächlich, dem Lauf der Themse folgend sieht man winzig klein im Osten der Stadt die berühmte Hängebrücke mit den zwei Türmen.
    Ich versuche, aus der Höhe mein Haus auszumachen, doch sieht man zwar im Norden der Stadt einen riesigen grünen Fleck, den Regents Park, alles Weitere jedoch versinkt im Nebel.
    Ich erkläre Karmen, worum es sich bei den anderen Gebäuden handelt – von Westminster Abbey über den Tower of London bis hin zu Canary Wharf, dem höchsten Wolkenkratzer Londons auf der Isle of Dogs, einer kleinen Halbinsel in einer Schleife der Themse. Von oben in ihrer Gesamtheit ist die Stadt fast noch beeindruckender als von unten.
    Und so sind wir enttäuscht, als wir uns nach einer halben Stunde wieder dem Boden nähern.
    „ Ladies and Gentlemen , Sie wurden auf Ihrem Flug über London fotografiert“, ertönt eine süßliche Stimme aus dem Lautsprecher an der Decke. „Die Bilder können Sie nach dem Aussteigen für nur acht Pfund erwerben. Vielen Dank, dass Sie heute mit uns geflogen sind.“
    „Bitte bleiben Sie angeschnallt, bis das Flugzeug zum Stehen kommt“, fügt einer unserer Mitpassagiere hinzu.
    Das Aussteigen erfolgt genauso schnell wie das Einsteigen, und wir werden in Eile zu dem Fotoverkäufer gelotst, wo wir uns schon bald auf Bildschirmen erkennen.
    „Oje, die sind ja wieder mal ganz toll geworden“, bemerkt Karmen sarkastisch, und so kommen wir gar nicht erst in Versuchung, ein

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